In diesem Jahr feiert der
Pfennig-Verein zur Unterstützung armer Schulkinder
sein achtzigjähriges Jubiläum. Er ist der älteste Wohltätigkeitsverein Breslaus, der noch heute besteht, und der noch jetzt, trotz der anderweitigen vielen Wohlfahrtsbestrebungen, die im Laufe der Jahre entstanden sind, seine Daseinsberechtigung und Notwendigkeit praktisch erwiesen hat und jährlich beweist.
Es ist kein Verein, der viel von sich reden macht; verborgen und still hat er
in den achtzig Jahren unendlich viel Gutes gewirkt. Immer war und ist das
Leitmotiv der Frauen und Männer, die dem Verein als Vorstandsmitglieder ihre
Kraft und Zeit widmeten, Liebe zu armen Kindern gewesen, selbstlose Liebe —
ohne jeden Nebengedanken.
Dies war auch der leitende Gedanke bei der Gründung des Vereins am 25. November 1848.
Die Begründerin war eine Tochter des begüterten Möbelkaufmanns Albert Bauer; von fürsorglicher Elternliebe umgeben, sah sie im Revolutionsjahr 48 das Elend und die Not unendlich vieler Kinder in Breslaus Straßen. Mitglied und Nächstenliebe erwachten in ihrem jugendlichen Herzen: Helfen wollte sie! Da kam ihr der Gedanke — — — doch hören wir, was die Gründerin Lina Bauer selbst über die Gründung des Pfennig-Vereins in einem Brief an den Vorstand der Pfennig-Vereins vom 17. Dezember 1906 schreibt:
… Es war an meinem 18. Geburtstag; meine lieben Eltern Fanny und
Albert Bauer hatten mir eine Gesellschaft gebeten, und als wir bei der
Abendmahlzeit saßen, sagte ich zu unseren Gästen: »Ihr könntet mir
heut' keine größere Freude bereiten, als wenn Ihr Euch mit mir vereinigt,
denen wohlzutun, die unserer Hilfe am meisten bedürfen: den notleidenden
Schulkindern, denen es an warmer Kleidung und an Mitteln fehlt, sich
Schulbücher zu kaufen, die verwahrlosen, weil sie die Schule nicht besuchen,
sondern bettelnd auf den Straßen umherirren, weil ihnen meist das schützende
Elternhaus fehlt. Wir wollen einen &rasquo;Pfennigverein zur Unterstützung
armer Schulkinder&lasquo; gründen; unsere guten Eltern werden uns gewiss
beistehen, schon zu Weihnachten mit der ersten Verteilung beginnen zu
können.« Mit Begeisterung stimmten mir die Freunde zu. Ich bat, täglich einen
Pfennig zu opfern, recht viele Mitglieder zu sammeln und uns zu konstituieren.
Man wählte mich als Vorsitzende; ein Vorstand trat zusammen, und wir setzten
uns mit den Vorstehern der Gemeindeschulen in Verbindung, um deren Rat zu
erbitten und Zuweisung notleidender Kinder. Ich will nur kurz erwähnen, dass
wir in der Tat schon Weihnachten 1848 die erste Verteilung ermöglichten.
Meine Mutter stand uns mit Rat und Tat zur Seite. Von 1848 bis zum
Jahr 1854, da ich heiratete und nach Berlin übersiedelte, blieb ich
Vorsitzende. Wir ließen während des ganzen Jahrs Wäsche, Kleidung und Schuhe
anfertigen und hatten die Freude, die ärmsten Kinder von 22 Volksschulen jede
Weihnachten beschenken zu können, wobei wir auch Schulbücher und
Schreibmaterial anschafften. Meine teure Mutter übernahm nach meiner
Verheiratung den Vorsitz und behielt ihn bis zu ihrem am 2. November 1874
erfolgten Tod. Wie sie für den Verein arbeitete, erfahren wir, da nach ihrem
Dahinscheiden in verschlossenen Körben schon alle für die Weihnachtsbescherung
bestimmten Kleidungsstücke, Wäsche und Schuhe fertig gearbeitet dastanden.
— Ich sandte jede Weihnachten dem Verein Bücher zu Geschenken und habe eine
große Freude, dass meine Schwestern, Frau Dr. Asch und Frau Dr. Honigmann,
mir stets von dem gedeihlichen Bestehen des Pfennigvereins Mitteilung machen
konnten, der mir zu seinem fünfzigjährigen Jubiläum den Vorzug erwies, mich
als Ehrenmitglied zu ernennen. Der Pfennigverein war meine erste Gründung, ihm
folgten in Berlin 1859 die des Frauenvereins zur Förderung der
Fröbel'schen
Kindergärten, 1866 der Verein der Volksküchen, 1868 der Kinderschutzverein,
1969 die Akademie zur Fortbildung junger Mädchen und Frauen in
Wissenschaften, im selben Jahr der Arbeiterinnenbildungsverein und 1873 der
Berliner Hausfrauenverein, nachdem ich 1870 und 71 den Komitees auf den Ost-
und Niederschlesisch-Märkischen Bahnhöfen zur Speisung der durchziehenden
Truppen und Verpflegung der Verwundeten und Kranken vorgestanden hatte.
Doch entschuldigen Sie, dass ich mich von den Erinnerungen hinreißen ließ,
Ihnen so viel vorzuschwatzen. Ich bin glücklich und dankbar, dass ich heute
mit 76 Jahren noch die Kraft habe, für die drei Vereine arbeiten zu können,
deren Vorsitzende respektive Ehrenpräsidentin ich bin: Der Verein der Berliner
Volksküchen, der Hausfrauenverein und der Verein zur unentgeltlichen Erziehung
schulentlassener armer Mädchen für die Hauswirtschaft. Den letztgenannten
Verein gründete ich 1880, er hat sein Haus und seinen großen Garten in
Marienfelde bei Berlin, in dem wir stets 25 Mädchen zwei Jahre lang ganz
unentgeltlich aufnehmen und zum Dienst für Stadt und Land vorbereiten.
Sollten Sie zu Weihnachten noch einige Bücher für junge Mädchen brauchen
können, so will ich sie gern schicken, mir wurde nämlich geschrieben, sie
beschenkten nur Knaben. Wenn Sie mir einen Jahresbericht des Vereins schenken
wollen, will ich über denselben in der Zeitung »Frauenreich« schreiben, um
Propaganda zu machen. Ich schrieb unter heftigsten neuralgischen
Gesichtsschmerzen.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Lina Morgenstern, geb. Bauer.
…