Kulturhistorische Entwicklung der Kochkunst
Wenn wir unsere Betrachtungen über die großen Veränderungen anstellen, welche im Lauf der Zeiten sich in der Bereitung der Speisen vollzogen, in dem Anordnen der Mahlzeiten, in der Geschmacksrichtung und der Kenntnis des Genießbaren, so werden wir zu der Überzeugung gelangen, dass die Geschichte der Kochkunst zugleich eine Geschichte der Kultur ist. Wenn auch die klimatischen Verhältnisse, die größere oder geringere Erzeugungsfähigkeit des Bodens für die Küche der Völker oft bestimmend und vom größten Einfluss sein mag, so ist es immer von der höheren oder niederen Kulturstufe eines Volkes abhängig, wie es die Schwierigkeiten, die sich ihm bei der Bereitung der Speisen entgegenstellen, überwindet. Außerdem hat der rege Völkerverkehr unserer Tage und der schnelle Transport die Unterschiede des Klimas die mehr oder minder große Fruchtbarkeit ausgeglichen, Handel und Gewerbe tauschen die Waren des Südens mit denen des Nordens, die des Westens mit denen des Ostens aus, selbst der Ozean hat aufgehört, die Völker zu trennen, Australiens und Amerikas Rinder und Schweine, seine Früchte und Gemüse sind dem Europäer bereits tägliche Konsumartikel, die Gewürze Afrikas, Kaffee, Tee und Reis aus Asien sind uns ganz unentbehrlich für unsere Küche geworden.
Um uns nun die Unterschiede von einst und jetzt recht bewusst zu werden, wollen wir uns umsehen, wie es bei den verschiedenen Völkern in früherer Zeit mit dem Essen und Trinken beschaffen war und wie sich besonders der Geschmack in seiner unendlichen Mannigfaltigkeit geäußert hat.
Unsere erste Hilfsquelle ist die Bibel. Sie erzählt uns von dem ersten Opfer der Brüder Kain und Abel, welche ein Tier und eine Getreideart Gott darbrachten, wobei der Umstand, das bei dem Einen die Flamme emporstieg, während das Opfer des Anderen nur Rauch zum Himmel sandte, — uns belehrt, dass bereits die ersten Menschen den Gebrauch des Feuers kannten und eine gemischte Nahrung von Fleisch und Pflanzenstoff hatten.
Denn da die Menschen noch ganz kindliche Vorstellungen von dem Wesen Gottes sich machten, konnten sie ihm auch nichts anderes opfern, als was sie selbst als Genuss und Speise geprüft hatten.
Wir sehen aus der Geschichte Noahs, dass bereits der Weinstock nicht nur als fruchttragendes Gewächs gepflanzt, sondern die Frucht gekeltert und zum Getränk bereitet wurde, ja dass dabei schon ein Gärungsprozess, welcher Alkohol erzeugte, stattfand, indem der Wein den Noah berauscht hatte.
Aus der Erzählung von Jacob und Esau erkennen wir, dass bereits die Auswahl der Speisen eine sehr mannigfaltige gewesen sein muss, denn das »Linsengericht war die Lieblingsspeise« des Esau, er musste also deren mehrere kennen, und Rebecca verstand »ein Lamm so zu bereiten,dass es wie Wild schmeckte«, um Isaac zu täuschen. Also musste auch die Kochkunst bei den Hebräern einen hohen Grad erreicht haben, und die Frauen der Patriarchen waren zugleich geschulte Köchinnen.
Das 5. Buch Mose [Deuteronomium] enthält im 14. Kapitel eine große Anzahl Verordnungen über gestattete und verbotene Speisen, teils aus Rücksicht auf die Gesundheit, teils aus religiösen Anschauungen und um das Volk zur Reinlichkeit anzuhalten. Die Hauptnahrung bildete Fleisch, Gemüse und Wein. Verboten waren erstens solche Tiere, von deren Leben man anderen Nutzen ziehen konnte, wie Kamele, Esel und Hunde, ferner solche, auf die man »Jagd machen musste, wie Hasen, solche deren Genuss als ungesund erkannt war, wie Schweine und Reptilien und solche, wo das töten eine Grausamkeit ohne großen Nutzen voraussetzte, wie die Vögel des Waldes. Ferner war der Genuss solcher Tiere verboten, welche von anderen Tieren getötet waren oder die beim Töten nicht den größten Teil der Blutmasse verloren.
Human war das Gebot: »Du sollst das Zicklein nicht kochen in der Milch seiner Mutter!« Dieses Gebot wurde darauf ausgedehnt, das kein Tierfleisch mit Milch oder Butter bereitet werden durfte, sondern mit Fett.
Die Juden betrachteten, wie alle ihre Erlebnisse und täglichen Handlungen, auch die Mahlzeiten als eine Beziehung zu Gott. Deshalb nahmen sie Waschungen der Hände vor und nach jedem Essen vor und sprachen ihr Dankgebet. Keine Erstlingsfrucht wurde im ganzen Jahr genossen, ohne dass über dieselbe ein Segen gesprochen ward.
Die Familien saßen mit ihren Mägden und Knechten bei Tisch, erst später hatten sie von den Römern angenommen, in liegender Stellung zu speisen. Das die Juden den Gebrauch des Sauerteigs beim Backen des Brotes kannten, geht daraus hervor, dass es heißt, »bei dem Auszug aus Ägypten hatten sie nicht Zeit, ihr Brot fertig zu backen, sie mussten es ungesäuert mit fortnehmen« und dies wurde als ein so großes Ereignis betrachtet, dass man noch jetzt »das Fest der ungesäuerten Brote« zur Erinnerung an den Auszug aus Ägypten zu Ostern feiert.
Im 2. Buch Mose [Exodus] Kapitel 10, Vers 12 heißt es: »Die Heuschrecken fressen alles Kraut auf dem Feld auf, was der Hagel übrig gelassen!« Daraus ersehen wir, dass die Kultur des Gemüses gepflegt wurde.
Im 3. Buch Mose [Levitikus] heißt es in der Versen 4, 5 und 6: »Will er aber sein Speiseopfer tun von Gebackenem im Ofen, so nehme er Kuchen von Semmelmehl ungesäuert, mit Öl gemengt, und ungesäuerten Fladen mit Öl bestrichen — ist es aber auf dem Rost geröstet, so sollst Du es von Semmelmehl und Öl bereiten. Alle Speiseopfer, die Ihr dem Herrn bereitet, sollen ohne Sauerteig sein, denn kein Sauerteig noch Honig sollen auf dem Altar des Herrn entzündet werden!« Also kannten die Juden schon zu Mose Zeiten den feinen Unterschied der Brot-, Semmel- und Kuchenbäckerei, das Backen im Ofen und auf dem Rost. Dieses ganzes Kapitel ist sehr belehrend, indem es ferner beweist, dass die Israeliten ihre Speisen mit Salz würzten, indem es [im] Vers 13 heißt: »Alle deine Speiseopfer sollst du nicht salzen!« und das sie auch Früchte dörrten und aufzubewahren verstanden, sehen wir aus Vers 14: »Du sollst die Früchte gedörrt am Feuer klein stoßen und also das Speiseopfer Deiner ersten Früchte darbringen.«
Älter noch als die Geschichte der Juden ist die der Ägypter, die — so geben uns Ausgrabungen Kunde, bereits als ein Kulturvolk nach Ägypten eingewandert waren. Hier fanden sie ein fruchtbares Land. Schon die ältesten Forscher erzählen, das die Ägypter verstanden, aus Gerste Bier zu brauen, aus Oliven und Rizinussamen Öl zu pressen und aus dem Samen einiger Blumen und Pflanzen Brot zu backen. Herodot berichtet von 22 Fischarten, welche der Nil in reichen Mengen lieferte, und das die Ägypter bereits das Einsalzen prächtig verstanden, ja, es waren eingesalzene Fische ein starker Handelsartikel, der in Fässern mithin verschifft wurde.
Wunderbar war es, dass je nach den Kasten, die Menschen sich auch verschieden nährten. Die Hirten aßen gern Fleischspeisen, die ,mittleren Stände dagegen zogen Pflanzenkost vor, die Priester aßen gemischt Fleisch und Pflanzen, Schweinefleisch durften sie nur an einem bestimmten Tag im Monat genießen, dagegen waren ihnen Fische verboten, da das Wasser als des Gottes Typhon&pos;s heiliges Element galt. Auch erhielten sie sich des ätherischen Öls, der SZwiebel und Hülsenfrüchte.
Fische, Melonen, Datteln bildeten die Hauptnahrung der unteren Klassen.
Im Kochen und Backen waren die Ägypter Meister. Auf den Tischen der Reichen erschienen die Braten der Rinder in verschiedener Zubereitung, ebenso das Geflügel: Gänse, Enten, die kleine Wachtel. Gemüse, die der fruchtbare Boden gab, verstanden sie schmackhaft zu machen und Gebäck bereiteten Sie von verschiedenster Form und Güte; ebenso Wein, Bier und andere Getränke. Bei der Tafel zeigte sich die Kultur der Ägypter, aber auch ihre Eigentümlichkeiten. Sie aßen teils mit Löffeln, teils mit den Fingern, liebten es, die Tafeln zu schmücken, und Reiche ließen Spielleute, Tänzer und Sänger zur Erheiterung ihrer Gäste zu Festgelagen erscheinen, während die Aufstellung der Toten der Familie, als Mumien einbalsamiert, in der Speisehalle stattfand — und an die Vergänglichkeit alles irdischen erinnern sollten. Die jetzige Küche der Ägypter ist in vielen Beziehungen der europäischen verwandt,doch mit vielen orientalischen Speisen und Zutaten untermischt. So spielen Sesamöl, das Rosenwasser, der ägyptische Pfeffer, die scharfe Zwiebel eine Hauptrolle in dem meist dem Vegetarismus zuneigendem Geschmack. Brot und Butter oder Honig, sowie anderes Gebäck von Nüssen, Honig, aromatisch-ätherischen Ölen waren die Lieblingsspeisen der Ägypter.