Glaube, Andacht und Pflicht
Gedenke des Ruhetages, ihn zu heiligen. Sechs Tage sollst du arbeiten und all' deine Werke verrichten; der siebente aber ist ein Ruhetag dem Ewigen, deinem Gott.
Du hast bis jetzt, als unmündiges Kind, keine andre Sorge gekannt, als unter liebreicher Anleitung von Eltern, Lehrern und Erziehern deinen Körper und Geist zu pflegen und zu fördern.
Sobald du jedoch herangereift sein wirst, musst du »sechs Tage arbeiten« für dich und für die Deinigen, musst du dich mühen für die Bedürfnisse des Lebens und dein Gut zu mehren oder zu erhalten suchen.
Nachdem du nun während der Woche dieser oft gar schweren und mühevollen Pflicht nachgegangen, deren Erfüllung dir irdischen Lohn, Gewinn und Lebensunterhalt verschafft, sollst du am Schluss derselben zurückkehren zu den Zeiten der Kindheit, in welchen keine Sorge dich drückte, kein Kummer dir nahte, sollst du einen Tag der Rast und Freiheit feiern, an welchem du wiederum der Pflege deines Körpers und Geistes allein lebst, an welchem du dein Gemüt zum Ewigen erhebst wie damals, als Vater und Mutter dich beten lehrten, als Erzieher dich auf deine Menschenpflichten aufmerksam machten, als Lehrer dir die Wunder der Schöpfung, den Zusammenhang der menschlichen Bestrebungen und Fortschritte und die weise Lenkung aller Schicksale durch Gott klar machten. Auch wenn du noch so beschäftigt wärest, feiere einen solchen Tag, »denke daran den Sabbat zu heiligen,« dich herauszureißen aus der Hast und dem Drange irdischer Bestrebungen, dich zu entziehen den Vergänglichkeiten und das Ewige zu suchen, dem du in Wahrheit angehörst.
Unterbrich die Werktagsarbeit, halte deine Hand zurück von Geschäften irdischen Ertrages, stärke und erquicke deinen Geist durch Tätigkeiten freier zwangloser Muße, schließe dich enger an Angehörige und Freunde, denke nach über den Pflichtenkreis, in den du gestellt bist, und über das Maß, in welchem du ihn ausfüllst, fasse Vorsäße, starke und edle Vorsäge für die kommenden Tage. Erhebe dein Herz zu Gott und verschaffe dir durch wahrhafte Andacht seinen Beistand, der demjenigen, welcher »im Herzen mit ihm wandelt,« nimmer entgeht, auf dass du nach allen Richtungen hin den Anforderungen zu entsprechen vermögest, welche deine Familie, deine Gemeinde, dein Vaterland und die Menschheit an dich zu stellen berechtigt sind. Blicke in dein Herz und prüfe gewissenhaft, woran es noch mangelt, ob du genug Liebe und Eifer, Treue und Festigkeit dir erworben gegen den Nächsten, oder ob die Gleichgültigkeit und der Wankelmut dich noch beherrschen, ob du nirgends statt der Wahrheit den Schein geboten, statt des Opfersinnes die Selbstsucht gepflegt, ob du noch Spuren des Rachegefühls gegen den Feind, des Neides gegen den Glücklichen, der Hartherzigkeit gegen den Bedrängten, des Hochhuths gegen den Untergebenen in dir entdeckst.
Tue das Alles und du wirst erfahren, wie durch die rechte Sabbatfeier, durch lebendigen Aufschwung zu Gott, durch ernste Einkehr in dich selbst du in einer Stunde mehr Läuterung der Seele, mehr Adel der Gesinnung, mehr Kraft der Entschließung und mehr Ausdauer in Tat und Streben gewinnst, als ohne sie in jahrelangem Dahinleben.
Das Hauptgebot der Sittlichkeit
Ausdrücklich ist dem Gebot der Sabbatheiligung der Grund hinzugefügt: damit dein Knecht und deine Magd ruhen wie du und du seist eingedenk, dass du selbst einst Knecht warst im Lande Ägypten und der Herr dich von dort herausgeführt hat mit starker Hand (5. Buch Mose Kap. 5, 14 und 15).
Also noch mehr als um deiner selbst willen sollst du zu Gunsten des von dir abhängigen Nebenmenschen den Tag der Rast einhalten; denn du bist frei und kannst nach deiner Lust dir Erholung und Muße gönnen, jener aber nur, wenn deine Laune es gestattet. Darum gebiete deiner Laune, dass sie nicht über das Recht und die Billigkeit hinausgreife und sehe dir selbst Schranken, dass du nur das Gottwohlgefällige, das Gute und Erlaubte an ihm übst.
Wenn du ein wenig weiter nachdenkst, so wirst du in dieser Begründung des Sabbatgebots den Hauptgedanken aller Sittlichkeit entdecken, dem von dir Abhängigen nichts anzutun, was dich an seiner Stelle kränken könnte und ihn zu behandeln, wie du dir selbst begegnet zu sehen wünschen würdest.
Abhängig von dir ist aber beziehungsweise jeder Mensch, mit dem du in Berührung kommst; du kannst ihn schädigen und verlegen oder fördern und stützen.
Tue daher dem Nebenmenschen nichts, was du nicht willst, dass dir geschehe, und lasse ihm Alles zu Teil werden, was du selbst von Andern beanspruchst: dies ist in praktischer Beziehung der Grundgedanke der Sabbatpflicht und zugleich die Grundlage aller Tugend und Menschlichkeit.
Wie Gott einst die Ägypter strafte und die unschuldig Geplagten rettete, so waltet er auch allzeit sühnend und helfend unter den Menschen. Handle darum so, dass du als Glücklicher und Gesegneter nicht deinen Sturz heraufbeschwörst und dass du im Falle der Not göttlicher Hilfe würdig und darum auch gewiss zu sein vermögest.