Lina Morgenstern

Lina Morgenstern

Unsere liebenswürdigen Leserinnen haben gewiss schon längst gewünscht diese unermüdliche Vorkämpferin im Dienst der Frauenfrage, wenigstens im Bild kennen zu Lernen. In der heutigen Nummer erfüllen wir den Wunsch, indem wir das Porträt der verdienstvollen Schriftstellerin, die wir auch zu unseren Mitarbeiterinnen zu zählen die Ehre haben, bringen. Wir lassen, was die biographischen Daten anbelangt, Frau Morgenstern selbst sprechen:

Mitten im Herzen der Stadt Breslau, dem alten, schönen und gotischen Rathaus zur Seite, stand das Haus in dem ich das Licht der Welt zuerst erblickte. Es war am 25. November 1830 als meine Eltern ihr neugeborenes drittes Kind in mir begrüßten-

Mein Vater, der Fabrikant und Kaufmann Albert Bauer, war ein liebenswürdiger, heiterer und wohlwollender Herr, der meine Mutter anbetete und mit ihr die glücklichste Ehe führte.

Meine Mutter Fanny geborene Adler entstammte der damaligen freien Reichsstadt Krakau, in der ihr Vater Senator war. Sie hatte eine gute, für die damalige Zeit ausgezeichnete Bildung genossen und hörte nicht auf bis an ihr Lebensende sich fortzubilden.

Sie war ebenso schön als gut, ebenso klug als tatkräftig, ihr Charakter war ernst, streng gegen sich, mild gegen Andere, fest und treu. Sie verstand die bei Frauen seltene Kunst zur Zeit zu schweigen, zur Zeit zu sprechen und mit Geduld zuzu- und anzuhören.

Sie übte den größten Einfluss auf ihr Haus, den Gatten, die Kinder und Dienstlaute nur durch ihr Beispiel strenger Pflichttreue und liebevollen Tuns. Ihre Blicke regierten uns mehr als ihre Worte und da sie kein unnützes und überflüssiges Wort sprach, so hatten ihre Lehren, ihre Unterweisungen und Unterhaltungen einen goldenen Wert. Wer in ihren Kreis trat fühlte sich von der Würde, dem edlen, wohlwollenden und liebenswerten Wesen dieser seltenen Frau angezogen. Besonders war die weibliche und männliche Jugend von ihr begeistert und unser Haus gehörte zu denen, welche als gastfrei bekannt, und stets gern aufgesucht war.

Besonders charakteristisch für meine Mutter war ihre unbegrenzte Wohltätigkeit und ihr gemeinnütziger Sinn. Sie gehörte schon damals als Vorsteherin einem Verein an zur Fortbildung von Jungfrauen für den Erwerbsberuf; ihr segensreiches Wirken jedoch bestand in der Rettung und Erziehung armer verlassener Kinder unter denen sie so manches Talent entdeckte, dem sie den Weg ins Leben gebahnt hat, dabei war sie eine musterhafte Wirtin und unser Haushalt wurde unsere praktische Schule für das Leben.

Zu meinem Bruder und meiner älteren Schwester bekam ich noch drei Schwestern. Wir waren Alle durch innige Liebe verbunden und sind es durchs Leben geblieben.

Ich war ein überaus lebhaftes Kind mit schneller Auffassungsgabe, kam mit sechs Jahren in die höhere Töchterschule des Werner, in der ich bis zu meinem siebzehnten Jahr blieb. Der Vorzug der Schule, die ich besuchte, war ein gründlicher Unterricht, besonders in der Oberklasse in der deutschen Sprache, Literatur und Geschichte. Wir wurden angeregt die Klassiker zu lesen und uns für ihre Werke zu begeistern. Mein Hang mich in poetischer Form auszudrücken wurde in so fern durch den Unterricht begünstigt als uns die Wahl der deutschen Ausarbeitung und ihrer Form überlassen blieb und ebenso durften wir in der Deklamationsstunde Gedichte frei wählen. So kam es einst, dass eine Mitschülerin der ersten Klasse sich ein Gedicht von mir, »Der heitere Lebensabend« zur Deklamation gewählt hatte, welches sie als Erste unserer Klasse in Gegenwart der Vorsteherin hersagte: Dieser Vorfall machte ein so tiefen Eindruck auf mich, dass ich nach der Stunde, mit dem Mädchen einen Freundschaftsbund schloss, Emilie Stein, spätere Pastorin Aßmann, dem wir fürs ganze Leben treu geblieben sind, obgleich unsere Wege uns räumlich vom sechzehnten Jahr an trennten und auch den Schicksalen noch ganz verschieden wurden.

Zu meiner Bildung und geistigen Entwicklung trug auch der Religions- und Konfirmanden-Unterricht des Philosophen und Predigers Dr. Geiger bei, der das Nachdenken über die ethische Bestimmung des Menschen weckte und uns selbständige Arbeiten über die höchsten Aufgaben des sittlichen Lebens machen ließ. In der Schule lernte ich die Lehren des Christentums und das neue Testament kennen, im Religionsunterricht das alte Testament, die Geschichte und Literatur des Judentums und den Wandel den dasselbe durchgemacht haz. Es wurden uns Grundlehren des reformierten Judentums gegeben. Der Glaube an Gott, an Unsterblichkeit und an die kommende Zeit der Menschenverbrüderung. In der Pflichtenlehre war eine der höchsten:
Du sollst Deinen Nächsten lieben wie dich selbst und damit die hingebende, opferwillige Menschenliebe ohne jeden Unterschied in unser Herz gepflanzt.

Den Abgang von der Schule und die Konfirmation bildete für mich einen ernsten, feierlichen Abschluss. Nun begann die autodidaktische Fortbildung durch Bücher. Mein Wissensdrang trieb mich zu neuen Studien. Da wir Schwestern abwechselnd die Wirtschaft führen, in Küche und Haushalt walten und die notwendigen Handarbeiten, wie die Waschausbesserung und so weiter leisten mussten, gewöhnte ich mich außer an den freigegebenen Sonntagen, bis spät in die Nacht hinein zu lesen und zu schreiben, oder sehr früh zu diesem Zweck aufzustehen, wodurch ich meine Gesundheit untergrub und vom 17. bis 21 Lebensjahr an quälendem einseitigen Gesichtsschmerz und hochgradiger Bleichsucht litt. Dies veranlasste, dass ich jeden Sommer die geliebte oft leidende Mutter mehrere Wochen in Bäder begleiten durfte, namentlich nach Salzbrunn, Wormbrunn, Teplitz und Karlsbad. Bei meiner großen Liebe zur Natur und meiner schwärmerischen Liebe für die Mutter waren dies nicht allein Zeiten der Erholung, sondern der Herzenserquickung und geistigen Anregung. Mit dem 15. Jahr hatte ich begonnen ein Tagebuch zu führen, indem ich mich bemühte mir über alle Gefühle und inneren, wie äußeren Erlebnisse Rechenschaft zu geben, ich führte es fort bis mehrere Jahre nach meiner Verheiratung, — wo es zum »Tagebuch der Mutter« wurde.

Eine große Befriedigung gewährte mit Klavier- und Gesangsunterricht, besonders auch die mitwirkende Mitgliedschaft in der Singakademie unter der Leitung des alten Mosevius [Johann Theodor Mosewius].

Um meiner ernsten Richtung nach der Schulzeit ein Gegengewicht zu geben, wurde ich mit der jüngeren Schwester in [eine] Tanzschule geschickt, wo ich als 16 jähriges Mädchen meinen späteren Lebensgefährten kennen lernte. Er war Pole und kaum der deutschen Sprache mächtig, um uns zu unterhalten, lernte er Schillersche Gedichte auswendig, während ich polnische Fabeln mir mit meiner Mutter Hilfe einstudierte.

Um meiner zarten Gesundheit aufzuhelfen, lernte ich Turnen und Schwimmen, beides trieb ich mit Eifer und Befriedigung.

In das glückliche und friedliche Jugendleben trat 1846 ein politisches Ereignis, das tief erregend auf unsere Gemüter wirkte. Es war die Polenrevolution. Da meiner Mutter Verwandte in Krakau lebten, so waren wir von den blutigen Bürgerkämpfen in Galizien tief berührt und erschüttert. Mein Großvater, ein edler schöner Greis, dessen äußerliche Ähnlichkeit mit Goethe ihn mit Stolz erfüllte, musste fliehen, da sein Haus in Krakau ein Raub der Flammen geworden war. Er blieb längere Zeit bei uns. Wir Kinder hatten für ihn wie für die Mutter meines Vaters, die stets unweit von uns wohnte eine Liebe und Ehrerbietung, wie man sie heutzutage nur noch selten bei der Jugend findet.

Von tief in mein innerstes Empfinden und meine Weltanschauungen einschneidende Bedeutung war das Jahr 1848.

Meine älteste Schwester hatte sich 1847 im Herbst nach Krakau mit meinem Oheim Joseph Adler vermählt. Ich besuchte sie im Januar 1848 und als die Kunde von der Revolution in Frankreich zu uns drang, wurden wir von lebhafter Teilnahme für die Tagesereignisse hingerissen, die immer mehr wuchs und jedes persönliche Interesse zurückdrängte, als in Krakau die Erhebung der Polen mit der Befreiung der politischen Gefangenen aus den Gefängnissen begann. Die Konstitution in Österreich erklärt wurde — und die Märztage in Berlin uns aufs höchste erregten. Nun hielt es mich nicht länger fern vom Vaterhaus. Mein Bruder holte mich heimwärts, wo ich tief erschüttert die Maikämpfe in Breslau mit erlebte und erlitt.

In diesem Jahr legte ich mir zum ersten Mal die Frage vor, was kannst Du für das allgemeine Wohl tun, wie und wo kannst Du mit deiner schwachen Kraft als Glied der großen Kette? Und als Frucht dieses Nachdenkens, begründete ich an meinem 18. Geburtstag in dem um mich im Vaterhaus vereinten Freundeskreis den »Pfennigverein zur Unterstützung armer Schulkinder«. Wir ermöglichten deren Schulbesuch, der damals noch nicht obligatorisch war, indem wir ihnen Kleidung, Schuhe und Arbeits-wie Lehrmaterial gaben. Der Verein, dessen jugendliche Vorsitzende ich unter dem Beistand meiner Mutter blieb, wuchs an Mitgliedern und vermochte 21 Armenschulen Breslaus zu unterstützen und zu Weihnachten mehrere hundert Kinder zu bekleiden. Dieser Verein, den ich bis zu meiner Übersiedlung nach Berlin, und den meine Mutter bis zu ihrem Tod 1847 leitete, besteht heute noch in Breslau und erstreckte heute seine Tätigkeit besonders auf Ferienkolonien armer Schulkinder, meine Schwestern gehören heute noch zum Vorstand.

Nach langen Kämpfen und siebenjährigem Werbens um mich, gaben meine Eltern ihre Einwilligung zu meiner Verlobung mit Theodor Morgenstern, jenem bereits erwähnten Polen, den ich in der Tanzstunde kennengelernt hatte. Seinetwegen hatte ich so manchen anderen Heiratsantrag zurückgewiesen.

Wir verließen unmittelbar nach unserer Hochzeit im März 1854 Breslau, da mein Mann in Berlin ein Manufakturgeschäft en gros etabliert hatte.

Fortsetzung

Meine Brautzeit war eine überaus getrübte gewesen, Da ich wenige Wochen vor unserer Vermählung meine jüngste Schwester, ein lieblich schönes, selten begabtes Mädchen von 16 Jahren verloren hatte.

Unsere Ehe wurde mit fünf Kindern gesegnet, von denen auch ich, gleich meiner Mutter, die jüngste Tochter — im 23. Jahr, ins Grab sinken sah.

In der neuen Heimat wurde ich zunächst durch das Hauswesen und die Pflege meiner Kinder, der ich mich ganz hingab, in Anspruch genommen, doch hinderte mich dies nicht, da die oftmaligen Geschäftsreisen meines Mannes mir viel freie Abende ließen, mich geistig viel zu beschäftigen. Ich studierte pädagogische und medizinische Schriften, las Rousseau und Pestalozzi mit gesteigerter Aufmerksamkeit, und begann für meine Kinder Geschichten und Gedichte zu schreiben. Meine erste größere Arbeit, die ich vollendete, war »Das Bienenkäthchen«, ein episches Märchen. Ich trieb auch fleißig Musik und fremde Sprachen.

Im Jahr 1859 wohnte ich in der begründeten Versammlung des Frauenvereins zur Beförderung Fröbelschen Kindergärten bei. Bald wurde ich in den Vorstand gewählt und begann mich in der Fröbels Erziehungstheorie und Methode zu vertiefen, die meisten Anregungen hierzu verdanke ich Frau Berta von Wahrenholz Bölow, die viele Abende bei mir zubrachte und mich mit Fröbels, damals zerstreuten in Tagesblättern erschienen Schriften versorgte. Ihr Umgang und die neue Tätigkeit in dem Verein, mit seinen mannigfachen geistigen Anregungen, so wie die angestrengteste Kindespflege und Wirtschaftsführung gaben meiner Seele damals das notwendige Gegengewicht zu niederdrückenden materiellen Sorgen. Mein Mann hatte durch die amerikanische Krise und die nachwirkende in Russland dir größten Verluste erlitten, wir hatten unser behagliches Heim verlassen und eine kleine, sehr beschränkte Wohnung genommen, während seiner Reisen musste ich noch das Geschäft beaufsichtigen und mein Geist rang danach mich über die beklemmenden Verhältnisse zu erheben.

Dass ich meinem Mann zu Hilfe kommen müsse, durch Verwertung meiner Talente war mir klar und so sehr ich vor Veröffentlichung und materieller Verwertung einen geistigen Arbeitschen[?] hatte, — so übernahm ich diese — und ging zu einem Verlagsbuchhändler, dem ich als Frucht meines Fröbelstudiums einen Aufsatz für den »Bazar« brachte. Er gefiel ihm so gut, dass er mich bat, ihm ein Buch für Mütter zum Selbststudium der Fröbelschen Lehre und Beschäftigungen zu schreiben. Glückselig machte ich mich an die Arbeit. Nach des Tages rastloser Arbeit schrieb ich in den stillen Nächten — vier Wochen mein »Paradies der Kindheit«, das im Jauf der Zeit in fünf Auflagen (…) erschien. —

Nun hatte ich Mut. Ich versandte zugleich mit diesem Manuskript, das E. Schotte 1860 herausgab, die »Die Storchstraße, hundert Geschichten für die Kinderwelt« und »In der Dämmerung« Märchen an Trewendt und Julius Springer. Beide Bücher wurden angenommen und so wurde ich in einem Jahr Schriftstellerin mit glücklichem Erfolg.

Im Jahr 1861 wurde ich zur Vorsitzenden im Frauenverein für Kindergärten erwählt. Unter meiner Leitung blühten acht Kindergärten auf, von denen zwei von direkten Schülerinnen Fröbels geleitet wurden, es entstand das Seminar für Kindergärtnerinnen, das Kinderpflege-Institut und der Volkskindergarten.

Der Krieg von 1866 gab eine Veranlassung meinen Vorsitz niederzulegen, um die volle Gründung der Volksküchen einsetzen zu können. Der Gedanke hierzu kam mir, wie eine höhere Eingebung blitzschnell, aber zur Ausführung gehörte Nachdenken, Studium der Ernährung und Massenspeisung, Energie, unermüdliches Arbeiten und Ausdauer im Ertragen aller Widerwärtigkeiten. Dank der treuen Mithilfe von Frauen und Männern, die das Werk bis zum heutigen Tag mit persönlicher Tätigkeit unterstützen, — da dasselbe keine Geldbeträge, — nur persönliche Hilfe annimmt, bestehen die Volksküchen seit 26 Jahren und sind zum Muster aller späteren ähnlichen Anstalten geworden, welche eine gesunde und auskömmliche Ernährung der großen Massen anstreben.

Die Verbrechen der sogenannten Engelmacherinnen und die große Sterblichkeit unter den Kindern der Armen gab mir im Jahre 1868 den Gedanken einen »Kinderschutzverein« ins Leben zu rufen. — Damals war Königin Augusta von Preußen teilnahmsvoll dem Verein der Berliner Volksküchen näher getreten, indem sie aus eigener Initiative dieselben besuchte und ihre Anerkennung durch eine Prämierung braver Dienstboten der Volksküche kund gab. Da ich nun gehört hatte, dass ein Findelhaus mit Anonymität der Mutter in Berlin begründet werden sollte, dessen Protektorin zu werden man die Königin veranlassen wollte, verfasste ich gegen diesen Plan und zu Gunsten eines Kinderschutzvereins ein Memorandum, welches ich der Königin übersandte. Hierauf wurde ich zur ersten sehr denkwürdigen Audienz befohlen, in welcher die Königin ihre Sympathie für mein Unternehmen Ausdruck gab. Mit Hilfe mehrerer Männer und Frauen, darunter die Schwester des Fürsten Bismarck, Frau von Arnim Krochlendorff, begründete ich den Kinderschutzverein, dessen Vorsitzende ich bis 18z70 blieb, — (ich legte nieder, weil meine Pflege verwundeter und erkrankter Krieger mich vollauf in Anspruch nahm). Noch heute besteht der Kinderschutzverein unter Leitung des Herrn von der Wyngärt zum Segen hunderter von Kindern, die durch ihn dem Leben erhalten bleiben, und sonst dem Untergang geweiht worden wären. Schon seit dem Jahr 1865 hatte ich mich dem allgemeinen deutschen Frauenverein und seit seinem Entstehen 1866 dem Letteverein angeschlossen und seitdem alle Frauentage besucht und mich lebhaft für Lösung der Frauenfrage interessiert.

Um mein Ideal weiblicher Fortbildung nach der Schulzeit zu genügen, begründete ich im April 1869 eine wissenschaftliche Fortbildungsschule für junge Damen, die ich mit großem pekuniären und Zeitopfern bis 1873 fortführte. Ich hatte zwölf Lehrer und unterrichtete selbst in Erziehungslehre und Haushaltungskunde und Kindespflege.

Die Kriegsjahre 1870 – 71 riefen zu neuer Tätigkeit. Ich übernahm mit meinem Mann die Oberleitung der Verpflegung und Erfrischung durchziehender Truppen und später Verwundeten auf dem Niederschlesischen und Ostbahnhof in Berlin, unterstützt von den Vorsteherinnen und Vorstandsherren der Volksküchen. Mein Buch »Die Berliner Volksküchen« gibt Aufschluss, was wir in jenen Jahren an Leiden und Ertragen durchgemacht.

Die in jedes Hauswesen tief eingreifenden wirtschaftlichen Veränderungen in folge der Gründerjahre, waren Veranlassung, dass ich im November 1873 im Berliner Rathaus einen Vortrag hielt: »Was vermögen die vereinigten Hausfrauen gegen die willkürliche Verteuerung der Lebensmittel«, in Folge dessen der Berliner Hausfrauenverein entstand. Mit Widerstreben nahm ich den Vorsitz in demselben an, durfte es aber als Gründerin nicht abschlagen, obwohl meine Arbeitslast kaum zu bewältigen war. Beanspruchten mich doch meine heranwachsenden Kinder, meine Häuslichkeit, die ich nie ohne materielle Einschränkung und Sorge führte und alle die genannten Vereine zu denen seit 1868 auch der Arbeiterinnenbildungsverein kam, dessen Vorsitzende ich bis 1874 blieb und in dem ich im Verein mit einigen Damen und Herren die ersten Fortbildungskurse für Arbeiterinnen und die erste Krankenkasse für dieselben begründet hatte.

Durch den Hausfrauenverein hatte ich die Frauen zur Selbsthilfe aufgefordert, um die wirtschaftlichen Interessen zu wahren und erfolgreich die das Haus gefährdenden Übelstände zu bekämpfen. Zugleich mit Begründung des Vereins gab ich die »Deutsche Hausfrauenzeitung« heraus, als Organ dieser wirtschaftlichen, wie der gesamten Interessen der Frauenwelt, die ich bis heute noch als ein Anwalt für Frauenpflicht und Frauenrecht leite und mit der eine Monatsschrift »Für junge Mädchen« verbunden ist.

Der Hausfrauenverein unterhielt von 1873 bis 1883 ein Konsumgeschäft, das nachweislichen tiefen Einfluss gegen die Verteuerung der Lebensmittel übte, aber eben darum von den vereinigten Kaufleuten bekämpft wurde und nach wahrhaft großartiger Gestaltung aus Mangel an Mitteln seiner durch die Bedürfnisse von viertausend Familien erforderlichen Apparate und Warenvorrat aufrecht zu erhalten, — aufgegeben werden musste. Da mein Ehemann Garantie für das Geschäft den Gläubigern gegenüber geleistet hatte, mussten wir bei der Auflösung mit unserem ganzen Vermögen eintreten und bauten von 1883 an wieder unter unbeschreiblichen Mühseligkeiten und Entbehrungen unsere Existenz auf.

Innerhalb de s Hausfrauenvereins, der jetzt wieder in schöner Blüte steht, errichtete ich 1877 eine Ausstellung gegen die Verfälschung der Lebensmittel, Kurse zur häuslichen Gesundheitspflege, seit 1878 eine Kochschule, die bis jetzt 1.700 Schülerinnen ausgebildet hat, ein Laboratorium zur Untersuchung der Lebensmittel, in dem auch Frauen zur Untersuchung des Fleisches auf Trichinen ausgebildet wurden, bevor noch eine obligatorische Fleischschau und ein Gesundheitsamt eingesetzt war.

Schon seit 1873 hatte der Hausfrauenverein eine unentgeltliche Stellungs- und Arbeitsvermittlung und seit 1875 eine Prämierung braver Dienstboten für langjährige Dienstzeit aus der in diesen Jahren schon über vierhundert und fünfzig Frauen und Mädchen i Dienste der Familie eine ermunternde Anerkennung und Belohnung erhielten.

Im Jahre 1880 begründete ich einen neuen Verein »Eine haus- und landwirtschaftliche Schule mit Heim für strafentlassene, minorene Mädchen, bis 1885 blieb ich die Vorsitzende und wurde alsdann zur Ehrenpräsidentin ernannt. Nachdem dieser Verein bis 1887 seinen Zweck verfolgte und es ihm auch gelungen war eine größere Anzahl Mädchen dem ordentlichen Lebenswandel und einer ehrlichen Erwerbsarbeit zuzuführen, änderten wir die Tendenz unseres Heims dahin, dass wir nicht mehr strafentlassene sondern schulentlassene arme Mädchen aufnahmen, die sonst hätten in die Fabriken gehen müssen, um sofort zu verdienen. Wie behalten diese Mädchen unentgeltlich 2 &msdash; 3 Jahre und bilden sie in allen häuslichen und wirtschaftlichen Arbeiten, wie in Handfertigkeiten aus.

Bei all dieser mannigfaltigen Vereinstätigkeit, zu der noch kam, dass ich seit 1887 Kurse für häusliche Krankenpflege mit einigen Ärzten einrichtete und leitete, die schon recht vielen verheirateten und unverheirateten Frauen zum Segen geworden sind. Für all die meiner Obhut anvertrauten Vereine und Anstalten schreibe ich die Jahresberichte. Nur durch frühes Aufstehen und strenge Zeiteinteilung vermochte ich neben den häuslichen Pflichten, die ich als die nächsten und wichtigsten nie zu vernachlässigen suchte, der Schriftstellerei, wie der Redaktion der »Deutschen Hausfrauenzeitung« mich regelmäßig zu widmen. Unter meinen Büchern nahmen mich am meisten in Anspruch:

Viele Manuskripte ruhen noch und warten auf die Zeit der Veröffentlichung.

Der beste Segen meines Lebens ist eine friedliche Häuslichkeit, glückliches Zusammenwirken mit meinem Mann, der mich nie in meinem Wirken für öffentliche Wohlfahrt hinderte und mich namentlich von Beginn bis jetzt durch seine freiwillige und selbstlose Mithilfe im Verein der Berliner Volksküchen unterstützt; ferner beglückt mich der Besitz von Kindern und Enkeln. Die älteste Tochter, Frau Klara Roth und der älteste Sohn, Zahnarzt Dr. Morgenstern in Baden-Baden bilden eigene Familien. Die erstere übt mit Geschick die Kunst- und Lehrtätigkeit der Holzschnitzerei.

Am glücklichsten macht es mich, dass noch zwei der Kinder in unserem Hause leben, meine Tochter Olga, die sich als Vortragskünstlerin und Dichterin eines guten Rufes erfreut und in der erstgenannten Kunst Unterricht erteilt, mein jüngster Sohn widmete sich dem Baufach und wirkt bereits als K. K. Regierungsbauführer.

Wohl war mein Leben nie frei von Sorgen, erfüllt von Arbeit oft bis zum Übermaß fürs eigene Haus und Andrer Wohl, aber das Gott mir die Gnade gewährt, mit voller Kraft und Leistungsfähigkeit allen übernommenen freiwilligen Pflichten vorstehen zu können und trotz schmerzlicher Erfahrungen nie zu ermüden, darin sehe ich das Glück meines Alters.