Lina Morgenstern

12 — Schlussbetrachtungen über seine Werke und seine Biographen

Die Biographen Galileis

Die Nachwelt wird niemals ein treu koloriertes Lebensbild des Weisen erhalten, der ein ganzes Menschenalter lang für Wissenschaft und Wahrheit kämpfte und erst die Menschen lehrte, die Natur zu verstehen! Die größten Schwierigkeiten, die sich einem Biographen entgegenstellen, sind der Verlust seiner Manuskripte.

Von Entdeckung zu Entdeckung, von Tat zu Tat schreitend, kam er nie dazu, seine Werke zu sammeln, und als er endlich eine freie und selbstständige Stellung opferte, um Muße zur Herausgabe und Vervollständigung all seiner Werke zu erhalten, bemächtigte sich seine die Inquisition, die selbst nach seinem Tod mit eifersüchtigem Auge jedes von ihm erscheinende Werk entdeckte und vernichtete. So wurde Renieri, der die Veröffentlichung seiner Tabellen zu den Trabanten des Jupiter besorgen wollte, noch auf dem Sterbebett von den Häschern heimgesucht, die bei ihm Haussuchung hielten und ihm fortnahmen, was ihnen gut dünkte, um es auf den Altar der römischen Kirche niederzulegen. Später geschah es gar, dass ein Enkel Galileis, als er in den Priesterstand trat, aus Furcht, man könne sie bei ihm finden, eine große Zahl der unschätzbaren Manuskripte seines Oheims verbrannte.

Ganz eigentümlich und traurig ging es dem Viviani, einem späten Lieblingsschüler Galileis, der sein ganzes Leben lang mit einen so rührender als leicht begreiflicher Anhänglichkeit für das Gedächtnis seines Meisters dessen Biographie schrieb und sorgfältig Alles sammelte, was von seiner Hand zu finden war. Um den gierigen Blicken der Feinde seinen Schatz zu verbergen und sie bei Herausgabe sämtlicher Schriften Galileis alle vereint zu haben, vergrub er die Manuskripte in einer Getreidegrube. Der Tod ereilte ihn, und sein Diener, der die Papiere zufällig entdeckte, kannte ihren Wert so wenig, dass er sie einem nahen Fleischer als Packpapier verkaufte.

Dieser machte natürlich in seinem Geschäft entsprechenden, sehr unwürdigen Gebrauch von demselben. Da geschah es einst, dass Senator Nelli mit Freunden in den Laden des Fleischers trat, um Einkäufe für ein Frühstück zu machen, das sie im nahe gelegenen Wirtshaus verzehren wollten. Nelli sieht zufällig auf des Papier, in dem Wurst eingepackt ward und — oh Erstaunen — er erkennt Galileis Schriftzüge. Ja es ist ein Brief von seiner teuren Hand. Der Überraschte verlässt stillschweigend die Freunde und begibt sich sofort zu dem Fleischer, den er fragt, woher er zu dem Papier komme. Dieser gab ihm harmlos die wahre Antwort, und Nelli kauft ihm nicht allein die so wichtigen Papiere ab, sondern sucht den Diener Vivianis auf, der in bitterer Reue seiner Tat ihn an die Getreidegrube führte, in drr noch ein großer Teil der Meisterhandschriften verborgen lag.

Nelli sammelte und verband sie, indem er noch alles Biographische seiner Schüler Viviani und Torricelli zufügte, und schenkte den Schatz der Bibliothek von Florenz, wo die meist noch ungedruckten Schriften erst nach den neuesten Forschungen der letzten zehn Jahre ans Licht gezogen wurden und von neuem, wenn auch an würdigerem Ort, begraben liegen.

Diese Reliquien sind mehr denn hundert Bände, und Italien hat noch eine heilige Pflicht der Dankbarkeit zu erfüllen gegen den toskanischen Gelehrten, die es bei seiner Wiedergeburt zur Freiheit nicht vernachlässigen sollte! Es müsste mit Stolz jedes Fragment des großen Mannes ans Licht zu ziehen suchen, gegen den seine Vorahnen, die Medicis und die ganze katholische Priesterschaft, so grausam als ungerecht verfahren haben — dem es so viel verdankt und dessen Ruhm über die ganze zivilisierte Welt verbreitet ist — um noch in den spätesten Zeiten einen Glorienschein um sein Vaterland zu weben.

Der Verlust der noch ungedruckten Manuskripte wäre noch leichter zu verschmerzen, wenn uns sein Leben wäre treu geschildert worden; allein der Schrecken, den die weitgreifende Macht der Inquisition einflößte, ließ Niemand wagen, gewisse Abschnitte wahrhaft und speziell zu beschreiben, hauptsächlich ist uns sein ganzer Streit mit der Kirche nur lückenhaft überkommen. Die einzigen glaubhaften Nachrichten überlieferte und der Kanzler von Florenz, Gherardini, der einst Galileis Vertrauen und Freundschaft in hohem Maß besessen hatte, jedoch erst lange nach seinem Tot desselben die Memoiren schrieb, weshalb sich mancher Gedächtnisfehler eingeschlichen hat. Diese erschienen erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Vivianis Biographie Galileis flößt wenig Vertrauen ein, da dieser, den Zeitverhältnissen Rechnung tragend, jede Tatsache verschwieg, welche Bezug auf die Inquisition hatte, und da er sie für den Großherzog Leopold von Medici schrieb, musste er Fürsten loben, die sich gleichgültig bei der Misshandlung ihres Beamten und Untertanen erwiesen hatten. Die Lebensskizze von Nelli ist unvollständig, die von Benturi ohne Ordnung und Methode. Libri hatte den Vorteil, alle bis dahin erschienen und in Bibliotheken lagerbdeb Quellen benutzen zu können, und gibt uns daher in seiner Histoire des sciences mathematique en Italie ein vollständiges Lebensbild Galileis. Nach ihm, als seit 1840, sind, wie oben erwähnt, wichtige Forschungen in den Bibliotheken von Florenz und Venedig gemacht worden, die jedoch noch keinen Deutschen veranlassten, eine vollständige Lebensschilderung Galileis zu geben und seine noch ungedruckten Schriften zu veröffentlichen.

Schlussbetrachtung

Galilei bekannte, dass er die Natur das schönste, erhabenste Werk sei und dass man aufmerksam und unausgesetzt in demselben lesen müsse, um am sichersten die Wahrheit zu finden. Er vernachlässigte auch nicht die kleinste Erscheinung derselben, und wir verdanken den einfachsten Dingen, die er beobachtete, die Auffindung der kostbarsten Instrumente.

Das war eben sein herrlicher Genius, die Gesetze der Naturerscheinungen zu erkennen, die wir täglich vor Augen haben, an denen wir achtlos vorübergehen und die bis zu seiner Zeit allen philosophischen Untersuchungen widerstanden hatten.

In Galileis Schriften herrscht eine eben so köstliche Einfachheit, als eleganter Stil und lebhafter Dialog.

Er war es, der die Mathematik und Geometrie zu Hilfswissenschaften erhob, ohne welche die Naturwissenschaft gar nicht bestehen kann. In der angewandten Physik erkennt man noch heute seinen geistreichen Versuchen hohes Verdienst zu, wie die über Akustik, den Blitz, das Licht und die ausstrahlende Hitze.

So erscheint uns der Weise von Florenz als einer der vielseitigsten und begabtesten Menschen. Groß als Astronom und Geometer, wie als Schöpfer der wahren Physik und Mechanik; Reformator der Naturlehre ward er zugleich glänzender Redner und vortrefflicher Schriftsteller. Was jedoch besonders hervorzuheben erscheint, das ist, er war zugleich ein liebenswürdiger Mensch, dem die Herzen zuströmten, der gesellige Talente besaß, humoristische Scherze schrieb und ebenso meisterhafte Musik theoretisch übte, als auch praktisch ausführte. So ist und bleibt er uns das Ideal eines Weisen, der uns zeigt, wie wir gleichen Schritt halten können in Wissenschaften und schönen Künsten.

Die scholastische Theologie der katholischen Kirche konnte nie mehr von dem Schlag erholen, den Galilei ihr beigebracht hatte. Indem sie erklärte, dass eine Lehre falsch und sündhaft sei, die heute das Eigentum der ganzen Welt und die Mutter aller Prinzipien der Naturlehre ist, richtete sie sich selbst. Die Verfolgungen der Inquisition, die den unglücklichen Mann blind und einsam sich in Seelenqual verzehren ließen und seinen Geist in Fesseln schlugen, der die Kraft, die ihm inne wohnte, nicht üben durfte — und daher Entdeckungen mit ins Grab nahm, die eine Welt erleuchtet hätten — lasten wie ein Fluch — auf der orthodoxen Kirche — aber sie hemmte nicht den Flug des freien Forschens und die Wahrheit siegt und wird siegen mit der Freiheit, der Vernunft.

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