11 — Galileis letzte Qualen, seine Erblindung und sein Tod
Nach Beendigung des Prozesses schloss man den gemarterten Greis kurze Zeit in den Gärten der Trinität del Monte [Santissima Trinità dei Monti] ein, dann erlaubte man ihm, nach Sienna zu reisen, wo ihn der Erzbischof bei sich aufnahm, der sein Schüler gewesen war.
Der Mut, die Ausdauer und die Arbeitskraft hatten den bewunderungswürdigen Mann während all' seiner Verfolgungen nicht einen Augenblick verlassen und kaum in Sienna angekommen, nahm er seine Arbeiten wieder auf. Schon glaubte man dem Hass seiner Feinde sei Genüge geschehen, als der Papst ihm gegen das Ende der Jahres 1634 gestattete, als Gefängnis ein Landhaus in der Nähe von Florenz zu beziehen, wohin ihm seine Tochter folgen durfte, die ihn mit treuer Liebe und Selbstaufopferung pflegte, obgleich sie selbst seit dem Prozess schwer erkrankt war. — Allein bald trat die Strenge des Papstes umso härter hervor, als Galilei sich an ihn mit der Bitte wandte, nach Florenz reisen zu dürfen und seine Freunde und Schüler bei sich zu empfangen! Da erhielt er die unmenschliche Antwort, dass er sich mit seinem Gesuch mehr an die Inquisition zu wenden habe, wenn er nicht in die wirklichen Gefängnisse Roms zurückwandern wollte. Und diesen Bescheid bekam er in einem Augenblick, als die heißgeliebte Tochter, vom Mitgefühl der väterlichen Leiden übermannt, einem Nervenfieber erlag und die Ärzte ihm die Nachricht brachten — er habe auch dies teure Gut verloren!
Kann wohl ein schwaches Wort die Verzweiflung des erhabenen Dulders schildern? Die Mönche jedoch hörten nicht auf, ihn mit ihrer Rache zu verfolgen und ihm die letzten Lebensjahre zu verbittern. Man ging so weit, dass der Großinquisitor von Florenz beauftragt wurde, sich von Zeit zu Zeit nach dem Ketzer umzusehen, ob er auch demütig und schwermütig geworden sei!
Himmel! welche Ausgeburten hast Du in Menschengestalt geboren sein lassen — um eine Rute zu schaffen — ganzen Geschlechtern! Welch ein blutiger Fluch klebt an der Kirche, die sich die allein selig machende nennt! —
Indes obgleich vom Kummer und vom Alter gebeugt und von Qualen und Sorgen gepeinigt, ob sein System dem Unverstand und der Böswilligkeit Trotz bieten wird, hörte er nicht auf, seine früheren Arbeiten zusammenzustellen und neue zu schaffen.
Der härteste Schmerz, der ihn noch treffen sollte — war seine Erblindung. Seit seinem Aufenthalt in den Inquisitionsgefängnissen schwächte sich zusehend sein Augenlicht, bis er zu Anfang des Jahres 1637 das rechte Auge und am Schluss desselben auch das zweite total verlor!
Schmerzlich rief er aus, als ihn das Unglück traf: »Oh holdes Augenlicht — dich wird die Nacht umhüllen, das so viel herrliche Entdeckungen gemacht, so viel kostbare Arbeiten verrichtet hat!«
Wer müsste bei Schilderung all' dieser Qualen nicht wieder an Prometheus denken, der zur Strafe, das himmlische Feuer den Göttern für die Sterblichen entwendet zu haben — an den Fels gefesselt wurde, wo ein Geier ihm die Eingeweide zerfleischte!
Allein selbst nach diesem Verlust und all' dem Kummer, den er durch seine Familie erlitt, diktierte er die bewunderungswürdigsten Schriften und bildete Schüler, wie Torricelli und Viviani, welche seinen Ruhm verkündeten und seine Entdeckungen fortsetzten.
Galilei war zwar nie verheiratet gewesen, allein er hatte ein Verhältnis mit einer venezianischen Edeldame Maria de Gamba, von der er mehrere Kinder besaß, die der Großherzog später legitimierte. Allein seine beste Tochter starb und sein Sohn Vincenz, auf den er so viel Hoffnungen gesetzt hatte, machte ihm durch leichtsinnige Aufführung Schande. Später zeigte derselbe viel Talent für Mechanik. Er selbst unterstützte jedes einzelne Glied seiner Familie, die viel Missgeschicke zu tragen hatte.
Der Großherzog benahm sich gegen Galilei in den letzten Jahren seiner Verbannung ins einsame Gefängnis zu Arcethi, aus Feigheit und Furcht vor der Inquisition, erbärmlich. Er wagte nicht, ihn zu besuchen, und verweigerte ihm auf dessen Bitten selbst einige Flaschen Wein, die dem Greis zur Stärkung verordnet waren.
Die Mönche und Priester hörten auch nicht auf, gehässig zu sein, hintertrieben überall den Druck seiner Schriften, und wo er sie hinschickte, um sie drucken zu lassen, erschien ein Verbot gegen dieselben.
Vergebens traten die tüchtigsten so wie die mächtigsten Männer für ihn in die Schranken. Roms Macht war zu groß und fürchterlich.
Unter denen, die ihre Stimme zu Gunsten Galileis erhoben, waren die aus Frankreich die mutigsten, da es dort ebenso große Gefahr war; sich seines Systems anzunehmen; denn Richelieu hatte sich gegen die Bewegung der Erde ausgesprochen und wollte sie sogar von der Sorbonne verbieten lassen! Es ist aber bekannt, mit welch unfehlbaren Mitteln er die zu strafen wusste, die sich seinem Willen widersetzten.
Dennoch trotze ihm Grassendi, der sich nicht scheute, die Lehren des Blinden von Toskana anzuerkennen! Marsenne übersetzte sogar seine Schriften und erging sich in Lobeserhebungen derselben und der Graf von Rouilly nahm den Druck des unsterblichen Werks auf sich: Abhandlungen und mathematische Beweise zweier neuer Wissenschaften. Doch der eifrigste und mutigste Freund Galileis war Peirese, der als Sammler denkwürdiger Schriften aus ganz Europa bekannt ist. Der Briefwechsel, den dieser mit allen Schriftstellern seiner Zeit unterhielt, ist ein Schatz, der noch fast unberührt daliegt und verloren gehen kann, ehre die Welt ihn durch Veröffentlichung gehoben haben wird. Peirese war in seiner Jugend in Italien gewesen, hatte den Vorträgen Galileis zugehört und war sein leidenschaftlicher Verehrer geworden.
Als er nun mit Entsetzen von des alten teuren Freunds herben Qualen hörte, wandte er sich an Barberini mit der Bitte, er möge vom Papst zu erlangen suchen, dass dieser den Erfinder so vieler unsterblichen Entdeckungen doch wenigstens ruhig sterben lasse.
Die Fürbitten eines so ehrwürdigen Manns, den Urban VIII. schätzte und achtete, vermochten selbst nicht das Eis von seinem Herz zu lösen, kaum dass man ihm einer Antwort würdigte. Der edle Mann weissagte vergebens, dass das schreckliche Verhalten und das Verdammungsurteil des großen Gelehrten einen unvertilgbaren Schandfleck auf Urbans Regierung werfen würde, der sich nur mit der Vergiftung Sokrates gleichstellen lasse.
Obgleich blind und von namenlosen Qualen gequält, zwang man Galilei, seine letzten Jahre ohne jegliche Rücksicht auf Pflege in der Abgeschiedenheit des ländlichen Gefängnisses zuzubringen, wo er dennoch, von Schülern umgeben, bis zum letzten Hauch Wahrheiten und Wissenschaften vortrug, um derentwillen er zum Märtyrer geworden war.
Endlich am 8. Januar 1642 ging der unvergleichliche Greis nach langem Erdenkampf zur ewigen Ruhe ein.
Ganz Europa weinte ihm Tränen des Schmerzes nach und die allgemeine Anerkennung, die sein System, die Bewunderung, die seine Werke und die glühende Teilnahme, die sein persönliches Schicksal gefunden hatte, zeigte den herzlosen und rachsüchtigen Mönchen, die seinen Leichnam nicht einmal die Ruhe des Friedhofs gönnten und seine Schriften vertilgten, wo sie sie fanden, dass sie wohl den Meister ins Verderben stürzen, nicht aber die Werke seines Universalgenies vernichten konnten.