1 — Galileis Kindheit
Drei Jahrhunderte sind dahingerollt, seit in Pisa am 18. Februar 1564 glückliche Eltern ihren Erstgeborenen, ein Knäblein, zum Leben begrüßten. An seiner Wiege stand der Genius der Harmonie und segnete das Kind mit allseitigen Naturanlagen. Denn sein Geist sollte berufen sein, die größte Revolution in der Wissenschaft hervorzurufen und durch die wichtigsten Entdeckungen und Forschungen eine neue Weltanschauung zu schaffen, welche ihren Triumph in jedem Sieg der Naturphilosophie über die Irrtümer des Glaubens feiert.
Heute, wo die Astronomie eine fertige Wissenschaft ist und die Naturlehre selbst den Laien erschlossen, kann man sich kaum eine Vorstellung machen, wie es vor drei Jahrhunderten ausgesehen haben mag, als die Menschen die Erde für eine feststehende Masse, für den Mittelpunkt der Welt hielten, in deren Tiefe die Hölle flamme, wo der Teufel sein Spiel treibe, während da oben Gott seinen Thron im Himmel aufgeschlagen habe, von Engeln umgeben — und der Sterne Heer als seinen Schmuck aussäend.
Dennoch sind die unerwarteten Erfindungen und Wahrheiten, welche unsere Zeit auszeichnen, seit Jahrhunderten vorbereitet, und immer hat es Männer gegeben, die sich frei machten von dem fesselnden Druck der Vorurteile, um — einem inneren Drang folgend — die Spuren der Wahrheit zu suchen und ihre Saaten in die Furchen der Menschheitsgeschichte zu streuen. Wie nun das Saatkorn Lebenskraft enthält, die spätesten Geschlechter mit Früchten zu erfreuen, so wird ein Kern der Wahrheit von des Weisen Hand gepflegt — und zum Gesetz erhoben — die Wurzel eines Weltsystems.
Das Beispiel eines solchen Weisen ist Galilei. Viele haben vor ihm gerungen, das Bild der Wahrheit zu entschleiern, allein nur ihm gelang es die Göttliche zu schauen.
Italien, vom Glanz der Verklärung umwoben, den der Genius der Kunst und Poesie in unsterblichen Werken eines Rafael, Leonard da Vinci, Michel Angelo, Ariost, Tasso ihm verliehen, ward die Beute der Fremdherrschaft, und schmachtete in Fesseln der Unterdrückung durch weltliche und geistige Machthaber, ohne selbst noch die Energie zu haben, die Ketten zu zerreißen. — Während in den Nachbarländern Religionskriege den Geist und die Kraft der Nationen beschäftigten, erschlaffte das italienische Volk, — unter der Sittenverderbnis seiner Höfe, —bis sich plötzlich aus seiner Mitte die Männer der Wissenschaft erhoben und das wunderbare Beispiel gaben, welche Macht das Individuum auf die Massen auszuüben vermag, wenn es die geistige Waffe zu führen versteht.
Wunderbares Spiel der Natur! In demselben Jahr, als Michel Angelo starb, wurden in zwei verschiedenen Ländern Europas größte Genies geboren. Galilei und William Shakespeare — als wollte die liebende Gottheit den Menschen für solchen Verlust einen Ersatz bieten! — Jener erschloss uns sie unendlichen Räume des Himmels &mdah; und enträtselte die Gesetze der Natur — dieser stieg in die Tiefen des menschlichen Herzens und zeichnete mit Meisterhand die mannigfachen und feinen Züge der Menschennatur!
Wohl hatte Europa seine Meister in Philosophie und Mathematik, allein sie suchten im Außergewöhnlichen die Größe ihres Wissens, trugen dem Vorurteil ihrer Zeit Rechnung und beschäftigten sich lieber mit dem Wunderbaren, als mit dem Einfachsten und Nächsten, wodurch jeder Wissenschaft Irrtümer beigestellt wurden.
Die wahre Naturphilosophie war noch nicht geschaffen, es gab keine Methode, man hatte keinen Führer, die Natur zu studieren. Bis Kopernikus den zündenden Funken in die Welt schleuderte und mit dem Zweifel an das Feststehen der Erde zugleich die Bewegung in alle Gemüter brachte, welche bald die Welt erschüttern sollte.
Freilich der Astronom von Fraustadt — um dessen Nationalität sich heute noch Polen und Deutsche streiten — erntete von den Zeitgenossen nur Spott und Hohn. Dies jedoch entmutigte Tycho de Brahe nicht, den Lauf der Sterne zu verfolgen und die Gesetze der Erde zu erforschen und begeisterte vielmehr den poetischen Genius eines Keppler, der die Harmonien der Sphären erklärte — bis der große Florentiner Galileo Galilei erstand, der zum ersten Mal mit bewaffnetem Auge zum gestirnten Firmament blickte, um die Gesetze und Eigentümlichkeiten der Himmelskörper, wie die Bewegung der Erde zu beweisen. Ihm erst war es daher vorbehalten, die Revolution der Geister zu einem glücklichen Resultat zu führen, indem er die schon aufgestellten Lehrsätze einer Kritik unterwarf und eine Philosophie der Wissenschaften schuf, indem er sie auf Beobachtung, Erfindung und Prüfung begründete. Er rüttelte an dem Ansehen des Aristoteles, der von der Kirche aufrecht gehalten wurde, um seine Schwächen und Blößen zu bemänteln, und erschütterte durch seine neuen Anschauungen des Weltsystems das Lügengebäude der päpstlichen Herrschaft, die ihm dafür ihren Bannstrahl zuschleuderte und ihn mit ihrer Rache bis übers Grab verfolgte.
Galilei entstammt einer edlen Familie Italiens, die früher den Namen Bonajuti führte. Schon einer seiner Vorfahren hatte sich als künftiger Arzt und Gonsalonier swe Republik ausgezeichnet. Galileos Vater, Vincenz de Michel Angelo de Galilei, war ein begabter und unterrichteter Mann, der vorzüglich das Lautenspiel pflegte und die griechische und römische Sprache studierte. Seine Mutter war Giulia, die Schwester des Edelmanns Leone de Cosimo di Ventura degli Ammo Pescia. Beide waren nicht wohlhabend und verarmten immer mehr, als die Familie sich vergrößerte.
Galileo war unter ihnen der einzig Begabte. Schon früh zeigte sich sein Sinn für Formen und Mechanik. Er zeichnete, baute und setzte Maschinen zusammen, ehe noch der erste Unterricht auf seine Spielbeschäftigungen einwirkte.
Sein Vater, der ihn gern zu einem tüchtigen Kaufmann gebildet hätte, ließ in von Jakob Borghini die lateinische Sprache und die Elementarkenntnisse beibringen. Allein bald überflügelte der gelehrige, wissbegierige und fleißige Schüler den weniger talentvollen Lehrer und nachdem Galileo durch Selbststudien bedeutende Fortschritte gemacht hatte, übergab ihn der Vater einem gelehrten Mönch von Bollombrosa. Dieser erkannte alsbald die Fähigkeiten des Knaben, den er vorzugsweise in der Logik und der Dialektik unterwies, durch welche Galilei die Welt später in Erstaunen setzte.
Als wollte die Natur ein Beispiel geben, dass der menschliche Geist ein einziger sei, geeignet in allen Zweigen der Wissenschaften sich auszuzeichnen, bis endlich eine Kunst oder eine Wissenschaft die Frucht dieser allseitigen Begabung wird, so hatte sich in Galilei jedes Talent, vereint, um ihn zu einem harmonischen Menschen zu gestalten. Er dichtete schon als Knabe, sein Lautenspiel, das er, wie die römische und griechische Sprache, von seinem Vater lernte, erregte die Bewunderung der Gesellschaft, sein edles Antlitz und die schlanke, aber kräftige Gestalt ließen das Auge wohlgefällig auf ihm ruhen und die bedeutendsten Maler scheuten sich nicht, seinen Rat schon, als er noch Jüngling war, zu suchen, da er vortrefflich zeichnete und viel Geschmack besaß.
Italien war reich an solch' vielseitigen Genies. Wir erinnern nur an Danti, Leonardo da Vinci, Michel Angelo und Andere.