Lina Morgenstern

2 — Galilei als Student an der Universität zu Pisa

Galileo kam bereits, ausgerüstet mit allen Vorkenntnissen, 1m 17. Jahr auf die Universität zu Pisa. Sein Vater hatte seinen Neigungen zum Studium nachgegeben und ihn zum Arzt bestimmt, da die Medizin die einzige Fachwissenschaft war, die schnellen und sichern Erwerb versprach.

Hier hörte er den philosophischen Kursus, der aus Metaphysik und Mathematik bestand. Da jedoch alle Lehrer gegen seine Ansicht, dort Peripatetiker waren, schloss er sich nur Jakob Mazzoni an, der die Lehre der Pythagoreer vortrug.

Die Welt der positiven Wissenschaft eröffnete sie dem Jüngling, der bald kein Mittel unversucht ließ, um in alle Geheimnisse zu dringen.

Es ist rührend, auf welche Weise er sich Zutritt zu dem berühmten Geometer Ricci verschaffte. Der Vater Galileis, mit jenem von Früher her bekannt, gab dem Sohn einen Empfehlungsbrief. Allein so oft der Jüngling Ricci aufsuchte, fand er ihn vortragend im Hörsaal des Schlosses wo er den Pagen des Großherzogs Mathematik lehrte. Der Zutritt zu diesem Saal war jedoch keinem Fremden gestattet, und so entschloss sich Galilei durch die dünne Wand den Vorlesungen zu lauschen. Von diesen angezogen, hörte er auf solche Weise zwei Monate lang dem Unterricht Riccis zu, bis er von dem Wunsch beseelt, dem geschätzten Lehrer sich zu nähern, sich einen Euklid verschaffte, ein für seine beschränkten Verhältnisse teures Werk, und über dasselbe eine briefliche Frage an Ricci richtete. Dieser, dadurch auf den seltenen Jüngling aufmerksam gemacht — der ihm zugleich mitteilte, auf welche Art er sich Eingang in seinen Unterricht verschafft hatte — gestattete ihm freien Zutritt zu seinen Vorlesungen und trat mit ihm in ein freundliches Verhältnis.

Lehrer und Schüler hatten miteinander fortan einen belebenden und anregenden Verkehr und Niemand vermag das Glück des jungen Galileo zu schildern, als ihn der Meister mit einem Archimedes beschenkte. Diesen studierte der Jüngling eifrig und schrieb an seinen Vater darüber: Wer einen Archimedes zum Führer habe, könne sicher im Himmel und auf Erden dahinschreiten.

Da begab es sich, dass Galilei, neunzehn Jahre alt, 1583 eines Tages einer Kirchenfeier beiwohnte, und während die fromme Menge der Messe lauschte, kann sich sein scharfsichtiges Auge nicht von den Lampen abwende, die von de Kirchengewölbe herabhingen und die der Wind in leisen Schwingungen hin und her schaukelte. Mit steigender Aufmerksamkeit beobachtete er die gleichmäßige Wiederkehr der Bewegungen — und oh Beglücken — die Entdeckungen der Pendelschwingungen und all ihrer Folgen waren gemacht!

Versetzen wir uns einen Augenblick in die Seele des geistreichen Jünglings. Gefesselt an die Stätte, die ihm durch Gewohnheit heilig ist, zum Schweigen verurteilt durch die andächtige Menge, und ankämpfend gegen die Zerstreuung durch ein äußerliches Ereignis, das ihm wie eine Offenbarung wird, dessen Tragweite er aber noch nicht kennt, und das ihn auf den Weg freier Forschung führt! In diesem Augenblick schon kämpfte in ihm der Glaube mit dem Wissen, die Kirche hatte ihn verloren — und die Welt, die Menschheit ihn gewonnen! —

Indes wandte Galilei seine ersten Erfahrungen über die Pendelschwingungen zu Vergleichen auf den Puls und dessen Bewegungen an.

Während er sich jedoch immer mehr in seine philosophischen und mathematischen Studien vertiefte, drang zu seinem Vater das Gerücht, er vernachlässige alles Übrige und treibe nur Geometrie. Der Vater eilte deshalb herbei, um ihn mit Vorwürfen zu überhäufen, fand jedoch zu seine Freude Galileo in allen Zweigen der künftigen Berufstätigkeit eben so vorgeschritten und außerdem in Selbststudien begriffen, die einen Meister beschämt hätten.

Stolz auf seinen Sohn und einsehend, dass dessen universelle Bildung ihn zu keinen Brotstudium eigneten, gab er dessen Neigung nach und erlaubte, dass er sich der Philosophie und Naturwissenschaft ganz widmen dürfe. Allein da die Vermögensverhältnisse des Vaters sich indes mit den Bedürfnissen einer heranwachsenden Kinderschar verschlimmert hatten, wandte sich derselbe an den Großherzog mit der Bitte, im Hinblick auf den bereits in weiten Kreisen geschätzten Namen seines Sohnes, demselben eine Unterstützung zu seinen Studien zu gewähren. Sein Gesuch wurde abgewiesen, ihm nicht einmal ein Freitisch gewährt, so dass der talentvolle Jüngling, bald aller Mittel zum Studium beraubt, im 21. Jahr die Universität verlassen musste, ohne die Doktorwürde erreicht zu haben.

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