Lina Morgenstern

3 — Die Professur zu Pisa

Indes vermochten selbst die größten Entbehrungen nicht, die bewundernswerte Macht seines Geistes niederzudrücken, vielmehr schienen sie ihn aufzumuntern, schnell fortzuschreiten.

Er schrieb eine neue Theorie über die Schwerpunkte fester Körper, mit der sich schon vor ihm viele Männer der Wissenschaft beschäftigt hatten, ohne zu den von ihm gefundenen Resultat gelangt zu sein. Sein Ruf war bereits so verbreitet, dass die tüchtigsten Gelehrten mit ihm in Briefwechsel traten, wie der Astronom Clavius und der Geograph Ortelius. Der einflussreichste und begeistertste seiner Freunde wurde jedoch der Marquis Guido Ubaldo del Monte. Dieser, — 1425 geboren — der früh Mathematik bei Commandino gelernt hatte, einem der edelsten Geschlechter Italiens angehörte, in Padua studiert und später den Krieg gegen die Türken mitgemacht hatte, 1580 aus demselben zurückgekehrt war und zum Generalinspektor der Festungswerke von Toskana ernannt wurde, konnte in diese hohen Stellung dem strebsamen Galilei sehr nützlich werden. Er war nach Durchlesung einiger Manuskripte (Fußnote) des jungen Gelehrten so sehr von demselben eingenommen, dass er öffentlich erklärte: Seit dem großen Geometer von Syrakus sei kein Genie gleich dem des Galilei erschienen. Das Urteil eines solchen Mannes konnte ihn mit gerechtem Selbstbewusstsein erfüllen. Del Monte und sein Bruder, der die Kardinalswürde bekleidete, bemühten sich lange Zeit vergebens, Galilei eine einträgliche Stellung zu verschaffen. Endlich nach vielen vergeblichen Versuchen erhielten sie für ihn die mathematische Professur in Pisa mit 60 Taler jährlichen Gehalt. Ganz unbedeutende Lehrer an derselben Universität erhielten tausend Taler, während also Galilei mit kaum zehn Groschen den Tag auskommen musste, worüber die Freunde vergebens ihre Erbitterung äußerten. Indessen ertrug Galilei mit stoischer Ruhe sein Geschick und schien nur Sinn zu haben für seine Arbeiten und Vorlesungen. Diese sind zwar nicht gedruckt worden, doch weiß man, dass er sich offen gegen Aristoteles aussprach.

Außerdem widmete er dem Fallen der Körper seine ganze Aufmerksamkeit. Er bestätigte die früheren Versuche Benedettis, dass alle Körper von gleicher Höhe in gleicher Zeit herabfallen, durch Erfahrung, und bewies, was von weit größerer Wichtigkeit und schwieriger war, dass im Fallen der festen Körper die Schnelligkeit im gleichen Verhältnis zur Zeit steht, und dass sie von dem beweglichen Körper durchlaufende Fläche sich zueinander verhält, wie ein Geviert der Schnelligkeit. Diese Verhältnisse sind die Grundlagen der Dynamik, einer Wissenschaft, die der geistreiche Lehrmeister in seinem 25. Jahr schuf. Er begründete seine Annahme durch Besprechung und Versuche, die er von der Höhe des schiefen Turms von Pisa anstellte, welcher sich vortrefflich zu solchen Experimenten eignete.

Neben den mannigfachen Bewunderern und Freunden, die solche Bestrebungen ihm zuführten, hatte er auch zahlreiche Feinde unter den Betroffenen und Studenten, die mit missgünstigem Auge den stolzen Gegner des Aristoteles ansahen, und ihn oft in seinen Vorlesungen mit Pfeifen, auf öffentlicher Straße, bei seinen Versuchen am Turm, mit Spott und Hohn empfingen. Allein der himmelanstrebende Geist Galileis achtete nicht der niederen Gesinnung seiner Widersacher und — wie er von der Höhe des Turms von Pisa mitleidig auf die Spötter herabblickte — so schwang sein Geist sich hoch hinaus zum Unendlichen, während seine altgläubigen Gegner am Boden haften blieben.

Seine Forschungen in der Dynamik ließ er erst wenige Jahre vor seinem Tod drucken, und so kam es, dass sie sowohl durch die öffentlichen Vorlesungen, als durch vertrauliche Mitteilungen früher bekannt wurden. Daher fanden sich Männer, die sich diese wie viele Erfindungen Galileis beimaßen und sie stolz als die ihren verkündeten.

Seine ersten Aufsätze über die Pendelschwingung, das Fallen der Körper, und die Prinzipien der Bewegung, erschienen erst 50 Jahre später, und es ist zu bedauern, wie wenig zugänglich sie dem großen Publikum wurden, obgleich es vom höchsten Interesse sein musste, die ersten Schritte kennen zu lernen, die er in diese bis dahin unbekannte Welt machte, in der er bald mit den glänzendsten Entdeckungen hervortrat.

Zu dieser Zeit fanden die Professoren nur auf bestimmte Zeit Anstellung. Die von Galilei sollte drei Jahre dauern, und obgleich sein Gehalt ein so kärglich zugemessenes war, wünschte er die Erneuerung seines Kontrakts; denn sein Vater war inzwischen gestorben, und er die einzige Stütze seiner Mutter und der zahlreichen Geschwister, die er sein Leben lang treu unterstützte. Dennoch setzte er seine Stellung aufs Spiel, aus Liebe zur Wahrheit und zur Wissenschaft. Johann von Medici, der natürliche Sohn Cosmus' I., der sich für einen geschickten Baumeister hielt, hatte eine Reinigungsmaschine für den Hafen von Livorno erfunden, und Galilei beauftragt, sie zu untersuchen und zu beurteilen.

Dieser erkannte alsbald deren Mängel und scheute sich nicht, sie laut zu nennen. Darüber verletzt in seiner Eitelkeit, beklagte sich Johann bei dem Großherzog, und da alle Peripatetiker (Anhänger des Aristoteles) seine Klage unterstützten, so sollte Galilei abgesetzt werden. Er gab daher dem Sturm nach und trat freiwillig zurück, indem er sich nach Florenz wandte.

Auch dies Mal kam der Marquis del Monte ihm zu Hilfe, indem er ihm beistand, den Lehrstuhl für Mathematik in Padua zu erhalten, welcher durch den Tod Molettis frei ward, der sich durch seine Versuche einer Reform in der Mechanik berühmt gemacht hatte.


Fußnoten

  1. In dieser Zeit schrieb Galileo die Bilancetta über das spezifische Gewicht der Körper und ihre Mischungen, die er aus Armut erst später drucken lassen wollte. Zurück

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