Lina Morgenstern

4 — In Padua

Ohne Schwierigkeit wurde Galilei von seinem Posten entlassen, da der Fürst einen solchen Mann nicht zu schätzen wusste. So begab er sich 1592 im Sommer nach Venetien.

Noch im hohen Alter erzählt er lächelnd, dass sein Gepäck, damals kaum vierzig Pfund schwer, seine ganze Habe enthalten habe. In Venedig verbrachte er die Ferienmonate und wurde daselbst in den besten Kreisen mit Liebe und Hochachtung aufgenommen. Im September begab er sich nach Padua, um dort seine Vorlesungen zu beginnen. Alle seine Zeitgenossen sind einig, den außerordentlichen Erfolg derselben zu proklamieren. In einer so schwierigen Wissenschaft, für die nur ein kleines Häuflein Fachgelehrter sich sonst interessiert hatte, fand er ein so zahlreiches Publikum, dass der Hörsaal, für zweitausend Menschen eingerichtet, die Zahl der Zuhörer nicht fassen konnte. Schon der erste Vortrag machte ihm Tycho de Brahe zum Freund und bald strömten aus ganz Europa die tüchtigsten Männer und Jünglinge herbei, darunter auch mehrere Fürstensöhne, um den jungen Apostel einer neuen Wissenschaft zu hören.

Die wichtigsten Abhandlungen, die er während seiner 17jährigen Tätigkeit als vortragender Professor hielt, teilte er meist nur in Manuskripten mit, ohne sie dem Druck zu übergeben, weshalb sie von seinen mannigfachen Schülern in ganz Europa verbreitet wurden, ohne dass man oftmals Rücksicht auf seine Autorschaft nahm. So wurden seine Aufsätze über Mechanik, Festungswerke, die Sonnenuhrkunst, und ein Abriss über die Himmelskuppel meist durch mündliche Mitteilung bekannt. Der letztere, den man später unter seinem Namen herausgab, ist sicher untergeschoben, da er viele, den Ansichten Galileis widersprechende Sätze und Ansichten enthält; der über Sonnenuhrkunst (Gnomonique) war verloren und der über Festungswerke wurde erst in unserem Jahrhundert in einem Werk Venturis abgedruckt.

Diese Gleichgültigkeit gegen die Veröffentlichung seiner Werke und das Vertrauen, sie Anderen zur freien Benutzung mitzuteilen, charakterisiert den harmlosen Charakter Galileis, der in seiner Selbstlosigkeit nicht an die Verherrlichung seines Namens, sondern an die Verbesserung der Welt, und die Ausbreitung der Wissenschaft und Wahrheit dachte. Schon in den ersten Jahren seines Aufenthalts in Padua erfand Galilei eines der wichtigsten Instrumente, das Thermometer. Bis dahin waren nur wenige Arten Wärmemesser gekannt. Man gebrauchte meist das Hydroskop des Lynesius, den Hygrometer Leonardo da Vincis und den Anemometer des Danti und Bolpaja.

Man hatte sich beschränkt, die Wärmegrade nach ihrem Einfluss auf natürliche Körper und unsere Sinne abzumessen. Diese Annahme hatte jedoch nichts bestimmtes, weil man dazu noch ein anderes Instrument hätte haben müssen, um das Verhältnis der Empfindung zueinander abzuwägen. Und dennoch ist nichts schwieriger, als die Erinnerung an den Einfluss von Kälte und Wärme festzuhalten und zu vergleichen, noch unmöglicher die Empfindungen verschiedener Menschen zu beurteilen — es gibt kein Mittel sie zu vergleichen.

Unter all den Naturerscheinungen jedoch, die wir im gewöhnlichen Leben beobachten, sind die der Erwärmung die wichtigsten. Die Gesundheit der Menschen und Tiere, die Arbeiten der Landwirtschaft, die nützlichsten Künste und Handwerke hängen von der Einwirkung der Natur ab. Dennoch hatte man bis zu dem Augenblick, da Galilei das Thermometer konstruierte, kein Mittel, die Temperatur zu bestimmen, und man beschränkte sich darauf zu sagen: »Mir ist kalt, mir ist warm!« Nachdem der große Naturforscher erkannt hatte, dass sich die Luft, wie im Allgemeinen alle Körper in der Wärme verdünnen und im Erkalten ihren natürlichen Umfang wieder annehmen, gründete er auf diese einfache Beobachtung sein Instrument, das dann bestimmt war, augenscheinlich die Veränderungen der Temperatur zu zeigen. Dies Instrument bestand zuerst aus einer Glassäule von engem gleichmäßigem Durchmesser, oben geöffnet und unten in aufgeblasener Kugelform schließend. Nachdem man etwas Wasser oder Weingeist in dieselbe geleitet hatte, brachte man sie in lotrechte Stellung. Der Luftdruck hielt die Flüssigkeit zurück, und so war das Thermometer geschaffen. Wenn man nämlich einen warmen Körper der Kugel der Glasröhre näherte, verflüchtigte sich die Luft aus derselben und die Flüssigkeit stieg in die Höhe, die bei Erkaltung wieder zurücktrat.
[Das ist physikalisch nicht richtig: Durch Erwärmung dehnt sich die Flüssigkeit aus. R.K.]

Dennoch war auch dies Instrument noch nicht zu Vergleichen geeignet, da es nicht in Grade nach bestimmtem Maß eingeteilt war. Man konnte es daher mehr ein Thermoskop als Thermometer nennen. Auch diente es als Barometer, und dennoch war man weit entfernt vom heutigen Thermometer, und dennoch war mit der Erfindung desselben auch die wahre Physik, die Lehre vom Maß und vom Gewicht gefunden, denn die bisher bekannten Wärmemesser, um die Eigenschaften der Körper zu prüfen, gehören zu den Seltenheiten, die man fast nie anwandte, während die Thermometer durch Galileis Bemühungen bald zum täglichen Gebrauch benutzt wurden. Der große Mann hörte nicht auf, das Publikum von der Wichtigkeit solcher Instrumente für die mannigfachen Nutzanwendungen zu überzeugen, auch arbeitete er fortwährend an Erfindungen, welche die Beobachtungen der Natur und ihre Erscheinungen erleichterten.

Obgleich es erwiesen, dass die Erfindung des Thermometers Galileis Verdienst war, so schrieb man dieselbe einer Anzahl Gelehrten in allen Ländern zu. Wir nennen nur Cornelius, Baron, Fludd, Drebbel, Sanctorius und Sarpi.

Wohl ist' wahr, dass sich die Beschreibung des Thermometers sich nicht in den Werken Galileis findet, allein wissen wir ja, dass sehr viele derselben noch als Manuskript verloren gingen und von den Mönchen unterdrückt wurden, und dass der schöpferische Geist, mit immer neuen Erfindungen beschäftigt, es vernachlässigte, in Instrument zu beschreiben, dessen Konstruktion er in seinen Vorträgen einer so großen Anzahl Menschen aus allen Teilen Europas mitgeteilt hatte. Auch sind die meisten Werke über die Thermometer weit später erschienen, als bereits Galileis Instrument eine allgemeine Verbreitung gefunden hatte.

Der vielseitige Naturforscher beschäftigte sich jedoch nicht nur mit dem Studium der Physik und der rationellen Mechanik, sondern mit der angewendeten. —

1594 baute er eine hydraulische Maschine, für die ihm der Doge von Venedig, ein Privilegium auf 20 Jahre gab. Kurze Zeit darauf erfand er den Proportionszirkel, ein für den Techniker sehr nützliches Werkzeug, das einen außerordentlichen Erfolg hatte und dessen Anwendung mit liebenswürdiger Bereitwilligkeit der großen Menge lehrte, die ihn deshalb aufsuchte. Da er die Anzahl der Zirkel nicht mehr selbst bewerkstelligen konnte, um die eindringenden Wissbegierigen zu befriedigen, nahm er einen Künstler zu sich, der bald ganz Europa mit Proportionszirkeln versorgte. 1606 gab Galilei die Beschreibung desselben heraus, und dennoch fanden sich diesmal Solche, die sich seine Erfindung aneignen wollten. Unter ihnen war der Milaneser Balthasar Capra, der 1610 die Beschreibung eines ähnlichen Zirkels herausgab. Galilei, der sich bereits 1609 von diesem Mann angegriffen gesehen, verlor diesmal die Geduld, und klagte ihn laut des Plagiats an. Man setzte eine Kommission ein, welche die Sache untersuchen sollte, und Capra wurde für überwiesen erklärt. Galilei bewies aufs Glänzendste, das dies Plagiat eine Abschrift seines Werks sei, dem eine unkundige Hand grobe Fehler hinzugefügt habe. In diesem Schriftstück gab er das Beispiel jener unwiederstehlichen Dialektik, die er später gegen die Peripatetiker so erfolgreich führte.

Sein Prinzip war es, sich der sokratischen Methode zu bedienen, indem er bald ernst geometrisch untersuchte, bald den Gegner mit Waffen der Satire angriff und ihn der Lächerlichkeit aussetzte. So überführte er seinen Gegner, der öffentlich verurteilt und beschämt wurde, da sich aus der Bekanntmachung dieses ganzen Streites ergab, dass Capra nicht einmal die Grundelemente der Geometrie verstand, und man musste erstaunen, dass Galilei einen solchen Gegner Wert fand, sich mit ihm in eine Streitfrage einzulassen. Allein es war nicht Capra, sondern die feindliche Partei, die Galilei bekämpfte, auch liebte er diese Art Diskussion, in der er seine volle Kraft entwickelte, und die Verteidigung seines ganzen Systems zugleich führen konnte. Deshalb war ihm der Kampf immer willkommen.

Nach Ablauf der üblichen sechs Jahre wurde Galilei wieder in seinem Amt mit erhöhtem Gehalt bestätigt.

Seine Vorlesungen lockten Fremdlinge aus allen Ländern herbei, auch einige nordische Prinzen. Unter ihnen war Gustav von Schweden, einer der eifrigsten Zuhörer. Seine Schüler verließen ihn nicht und folgten ihm selbst in sein Haus, um ihn zu hören. Der Senator Nelli, einer seiner späteren Biographen, erzählt hierüber, dass es Galilei oft an Tischwäsche gemangelt habe, seine zahlreichen Gäste zu bewirten, denen er in guter Laune alsdann Papier als Servietten gereicht habe.

Besonders waren seine Lehrstunden über Astronomie von außerordentlichem Erfolg, und zogen ihm zugleich heftige Gegner zu. Er hatte sich vorgenommen, zu beweisen, entgegengesetzt der Lehre des Aristoteles, dass der Himmel nicht unzerstörbar sei, da er Veränderungen zuließe. — Er gab zum Beweis den Stern Schlangenträger, der damals während 18 Monaten gesehen wurde, dann verschwand und von Mehreren als eine in den inneren Räumen des Himmels entstandene Lichterscheinung angesehen, von den Anderen als alter Stern betrachtet wurde.

Galilei bewies, dass es ein wahrer Stern sei, der nie vorher gesehen worden war. Seine Ansicht wurde von Cremonia und Delle Colombe hart bekämpft.

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