Lina Morgenstern

10 — Der Inquisitionsprozess

Bis dahin waren alle, von den Geistlichen ausgehende Schritte mehr lächerlich als gefährlich, doch plötzlich begann man mit Verfolgungen, welche Galilei ins Verderben stürzten und den päpstlichen Hof mit ewiger Schmach befleckten, deren Alle eingedenk sein sollten, welche sich anmaßen, den Genius in Fesseln zu schlagen und der Wahrheit den Mund zu schließen.

Ehe der Papst den Autor der Gespräche selbst anklagte, setzte er eine Kommission nieder, die das Werk prüfen sollte und welche aus lauter fanatischen Peripatetikern bestand. Er berief selbst zur Teilnahme an derselben Chiarmonti, Professor zu Pisa, der schon früher gegen die neue Philosophie zu Felde gezogen war.

Als dieser Schritt bekannt wurde, machte er auf Ferdinand II. einen tief betrübenden Eindruck, da er Galilei von früher liebte. Sofort gab er seinem Gesandten in Rom, Riccolini, Befehl, den Verfasser in jeder Weise zu verteidigen, und man muss zugeben, dass derselbe während des ganzen Prozesses mit Eifer und Klugheit für den edlen Märtyrer zu handeln wusste.

Dennoch vermochte der toskanische Gesandte nichts, als für ihn zu bitten und ihn zu beklagen.

Der Großherzog war zu jung und zu schwach, um seinen Untertanen zu schützen, und sein Minister Cioli verriet in einem Brief an Riccolini seine schlechten Absichten, indem er diesem anzeigte, Galilei werde fortan seine schlechten Absichten, indem er diesem anzeigte, Galilei werde fortan kein Gehalt mehr vom Großherzog beziehen. Riccolini antwortete ihm darauf, er werde die Ausgaben auf sich nehmen.

Bald nahm der Prozess eine üble Wendung. Dem Papst war berichtet worden, dass Galilei in seinen Gesprächen ihn selbst, in der Person des Simplicius, lächerlich gemacht hätte. Es kam den böswilligen Feinden Galileis eben nicht auf eine neue Verleumdung an, um ihm des Papstes persönliche Gunst zu entziehen.

Diesmal gelang es ihnen, da die Eitelkeit des Papstes verletzt war. Urban verbarg nicht seinen Zorn, und vergebens versuchte Ferdinand ihn zu besänftigen, indem er ihm seine Grausamkeit gegen den fast siebzigjährigen Greis vorführte, dessen einziges Verbrechen darin bestand, ein Werk veröffentlicht zu haben, das von der Inquisition — gut geheißen worden war.

Mit unerhörter Brutalität forderte der Papst und bestand darauf, ohne Rücksicht, dass die Ärzte Galilei für sehr krank erklärten, der Leidende solle sich mitten im strengsten Winter nach Rom begeben, sich der Gefahren der herrschenden Pest aussetzen und die Unbequemlichkeiten ertragen, um vor dem Schreckensgericht der Inquisition zu erscheinen.

Der verfolgte Greis kam am 13. Februar!1633 in Rom an und stieg bei dem toskanischen Gesandten ab. Hier durfte er während der ersten Verhöre verweilen. Als die Richter jedoch sahen, dass er in seiner Überzeugung verharrte, musste er Mitte April in die schrecklichen Gefängnisse der Inquisition wandern, wo er bald, da die Mönche merkten, dass er über seine Intentionen nicht die Wahrheit sagte, ein strenges Verhör zu bestehen hatte.

Wer die Prinzipien des entsetzlichen Blutgerichts kennt, weiß, dass ein strenges Verhör nichts anderes heißt als Tortur! und es unterließ keinem Zweifel, dass die Unmenschen die edlen Glieder des alten Weisen gemartert haben, denn so heißt es ja in den Bruchstücken seines Prozess', die aufgefunden wurden — er sei streng verhört worden und habe katholisch geantwortet, Es ist darüber viel gestritten worden, ob Galilei gefoltert worden sei. Allein noch mehr erhellt sich diese traurige Tatsache aus dem Umstand, dass Galilei nach dem strengen Verhör zu dem toskanischen Gesandten Riccolini zurückgeschickt wurde, wo man seinen totmatten Körper pflegte. Zu Riccolini äußerte sich der gemarterte auch: »Sie fügen mir all' dies Leid zu, um mich zum Narren von ganz Europa zu machen + allein sie werden mich zwingen, die Philosophie aufzugeben, um Geschichtsschreiber der Inquisition zu werden.« Der Gesandte schrieb an den Großherzog: »Ich habe den siebzigjährigen Dulder aus den Händen der Häscher mit elendem Körper wieder erhalten, dessen Auflösung ich täglich entgegensehe. Sein Geist und sein Mut sind aber noch nicht gebrochen!«

Am zwanzigsten Juni führte man den fast sterbenden Greis in die Gefängnisse zurück, um ihm sein Verdammungsurteil zu sprechen, welches die Verurteilung seines Werkes aussprach, den Verfasser zum Widerruf zwang und ihm Gefängnisstrafe auf unbestimmte Zeit zuerteilte, je nach Gutdünken des Papstes. Dieses fürchterliche Urteil, das alle Edlen empörte und in Schrecken setzte, erstreckte sich auch auf die, welche zur Veröffentlichung jenes Buches beigetragen hatten. Der Papst ließ es in der Kirche zum heiligen Kreuz in Florenz ausrufen vor den namentlich dazu von dem Inquisitor berufenen Freunden und Anhängern Galileis und es auch im übrigen Europa mit Pomp verkünden.

Grausen erfüllt uns, wenn wir uns das entsetzliche Schauspiel vor Augen führen, auf welche Weise der Hohe Märtyrer die Strafe des Widerrufs tragen musste.

Es war ein rauer Herbsttag, — ein dumpfer Schrecken lag auf Rom, — als trotz aller Fürbitten des toskanischen Gesandten der von unnennbaren Leiden gebeugte Greis, — im Büßerhemd hinausgeschleppt wurde, um vor den fanatisierten Blutmenschen zu erscheinen und seine Lehre, sein so schwer errungenes Heiligtum — sein besseres selbst verleugnen die tief erkannte Wahrheit widerrufen musste.

Da erzählten Viele die Fabel nach, dass der Märtyrer, erbittert durch so viele Kränkungen und zermartert von den Qualen einer Inquisition, deren geheime Gräueltaten längst offenbar worden sind — dass er sein Haupt zähneknirschend erhaben — und mit halblauter Stimme gemurmelt habe: Und sie bewegt sich doch! —

Wohl mag dieser Gedanke in ihm gewogt haben, allein es ist schwer zu glauben, dass der Philosoph sich zu dieser Leidenschaftlichkeit habe hinreißen lassen, die ihn den fürchterlichsten Foltern, ja vielleicht dem Tod ausgesetzt hätte; den zugleich mit dem Verdammungsurteil ward ihm ewiges Schweigen über das ganze Verfahren während des Prozesses auferlegt, und in der Tat, nie hat Galilei sich über die ertragenden Leiden später geäußert, obgleich er seit seiner Verurteilung an einem Eingeweidebruch litt. (Fußnote: Die neuesten Forschungen bewiesen, dass er das so weit verbreitete Wort: »Und sie bewegt sich doch!« nicht gesprochen hat.)

Kann man nicht annehmen, dass die zornentbrannten Mönche, die weder Frauen noch Kinder schonten und einen Giordano Bruno und Dominis dem Flammentod erdulden ließen, dem Mann keine Qual erspart haben werden, dessen Überlegenheit sie immer von Neuem reizte und den sie bis über das Grab hinaus hassten, da sie seinen Leichnam auf den »Schindacker« werfen und sein Testament fälschen wollten?

Man muss hierbei bedenken, das die päpstlichen Richter in Galileis Werk dieselbe tragweite der geistigen Revolution erblickten, wie in den Schriften Calvins und Luthers. Galilei aber, der noch so viel unausgesprochene Wahrheiten in sich trug, musste es daran gelegen sein, mit dem Leben davon zu kommen! Nur sein weiteres Wirken auf die Menschheit vermochte das Urteil der Inquisition zu vernichten — und ob er es auch nicht ausgesprochen hat — er fühlte es, dass ein Gericht nicht fähig sei, ihn zu verdammen, das noch den Teufel in Flaschen zu bannen glaubte, und er — der von der Bewegung der Erde überzeugt war —war auch durchdrungen von der Bewegung der Geister, die zur Erkenntnis seines Systems fortschreiten würden — wenn die Inquisition mit ihren Gräueln längst von der Geschichte gerichtet sein wird.

Gott Lob, so ist's geschehen und sie bewegt sich doch!

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